JJ bringt mir Bonsai bei

Das ist Dewi JJ, ich soll ihn JJ nennen, er nennt mich Nick oder Pak Nick, wobei im Laufe des Tages das Pak verloren ging. Mir war nicht klar warum, aber ich hatte das Gefühl, dass ich die Bonsaikunst erlernen will. Nach einer kleinen Recherche fand ich Dewi JJ in Klung Kung, der alten Königsstadt, ca 30 km von hier, also eine gute Stunde Fahrt. Ich bin relativ erwartungslos da reingegangen, weiß ich doch von Bonsais noch weniger als, muss ich leider zugeben, von Bäumen. Aber sie sprechen mich an. Irgendwie.

Freitag um 10 Uhr fand ich mich bei JJ ein. Er hat ein kleines Stück Land am Rand der Ortschaft, flach, Rasen, Bonsais in allen möglichen Verdelungsstufen, die man sich denken kann. Eine sehr feine Atmosphäre überall. Natürlich ist der Platz voller Hunde, 2 Mütter mühen sich ab, einen neuen Wurf von 8 Hündchen gemeinsam zu stillen, es wuselt. 2-3 Arbeiter sind da, oder wie es scheint eher Freunde, die auch mitmachen dürfen. Kunden kommen und gehen. Bonsai ist ein gutes Geschäft, auch in der Pandemie.

Ich kann den ganzen Kurs nicht wiedergeben, es war lang und komplex. Aber ein paar Details schon. Man kann Bonsais ziehen aus der Saat, das ist aber sehr aufwändig und dauert. Oder man macht aus einem Baum einen Bonsai, was üblicher ist, zumindest hier. Offenbar werden Bonsais Tausende von Jahren alt und in Japan oder China von Generation zu Generation vererbt. JJ hat ein paar selbst gezogen, mehrheitlich geht er aber hinaus an die Küste vor allem, in Stein und Sumpf, sucht Bäume, die in sehr miesen Bedingungen gesund bleiben, die mit Sand und Salz zu kämpfen haben, wenig Wasser haben etc., die also resilient sind. Und die ihm irgendeine Idee geben von der Form, die in ihnen wohnt. Ziemlich am Anfang kamen wir auf diese Geschichte von Michelangelo, der gefragt wurde, wie er denn den David schaffen konnte aus einem Stück Stein, und der antwortete: “Ich habe ihn nicht geschaffen, er war immer da drinnen, ich habe nur das Überflüssige weggeschlagen.” JJ sieht seine Bonsaikunst genauso. Klar zwingt man den Ast mit Draht in eine bestimmte Richtung, aber alles dient der Balance, der Ausgeglichenheit, der vollendeten Form, die der Baum aus welchen Gründen auch immer vielleicht nicht alleine findet. JJ mutmaßt, dass der Baum sie vielleicht selber finden würde, wenn er unbeschadet von schädigenden Einflüssen wachsen könnte, ohne Einmischung von Gift, Verkehr, schlechter Luft… Abgesehen von den Formen, die klassisch sind, also hängend, liegend, informell, Wald, aufrecht usf, geht es lt JJ um die Harmonie. Der Baum hat, wie ein Mensch, eine Vorderseite, und sobald der Baum ein Wachstum erreicht hat, wo quasi “seine Absichten” klarer werden, beginnt der Bonsaikünstler damit, diese zu finden. Im Prozess kann diese sich aber auch wieder ändern, denn es ist ja ein lebendiges Kunstwerk. Dann wird justiert. Oder eben auch repositioniert. Gerade als ich da war, hatten sie einen Baum in Arbeit, der schon sehr weit war. Über die letzten Jahre hatte er sich in eine Richtung entwickelt, die es notwendig machte, seine Position im Topf zu verändern, um dem gerecht zu werden. Und es hat wirklich geklappt, wie diese Bilder zeigen:

Links ist der Baum, frisch getrimmt und frisch gewickelt, hier und da, wo es eben nötig ist. Der graue im Bild mittig hat’s gemacht. Der, der ihm da hilft, den Baum rauszunehmen, ist eigentlich ein Sternekoch aus Ubud. Da er, wie fast alle Angestellten der Top-Hotels arbeitslos ist, treibt er sich bei seinem Freund JJ herum, kocht in der kleinen Warung seiner Frau, die bei JJs Grundstück am Eingang untergebracht ist, wenn Gäste da sein, fantastisches Essen. Ansonsten macht er schlüpfrige Witze über schöne russische Touristinnen (ich vermute mal, er glaubt, ich find so was lustig) und packt hier und da mit an. Wenn man jetzt mal das Bild rechts sieht, dann ist der Baum weniger aufrecht. Was links noch wie ein komisches verkehrtes Überkreuz aussieht, wirkt recht fast schön tänzerisch. Der Baum kann von hier aus in seiner ganzen Pracht ausbalanciert wirken.

Jj zeigt mir als erstes die Grundausrüstung. Scharfe kleine Scheren neben ganz normalen billigen Gartenscheren, aber wichtig die Zangen mit unterschiedlich gerundeten Kneifbacken. Die brauche er, um Äste rauszuschneiden, damit sie gut verheilen, außerdem um Rinde zu öffnen. Er will mir das alles bei Gelegenheit besorgen in Denpasar, 3 Millionen wird das kosten. Dann geht es aufs Grundstück: Neben den Methoden, die ich eingangs erwähnt hatte (aus dem Samen oder finden), gibt es noch eine weitere. Züchten. Hinten im Garten finden wir frisch eingetroffene Ware, erstmal ausruhend im Schatten, die Schnittkanten mit Plastikfolie geschützt. Das Wichtigste: Nicht austrocknen lassen. Die ersten 4 Wochen liegen die Findlinge dann einfach bei JJ rum, aber er hat zumeist schon eine Idee, was da im Baum schlummert. Die andere Methode, Zucht, favorisiert er, weil man damit Geld verdienen kann. Dafür hat JJ auf dem Grundstück geziegelte Quadrate, ca 50 cm hoch, ca 70 cm breit und tief, in denen seine Brut-Bonsais, also erfolgreiche Modelle in einem eingegrabenen Topf leben. Diese Bäume werden nicht zu Bonsais beschnitten, sondern, wie im Fall dieser kalifornischen Kirsche, ein erfolgreiches Modell, finden wir, dass an mehreren robusten Ästen die Rinde aufgeschnitten und geschält und ein Verband mit Moos draufgelegt wurde, mit einem Band befestigt. JJ beschreibt, dass nach ca einem Monat an diesen Stellen kleine Würzelchen kommen, nach 2-3 weiteren Monaten ist es schon so weit, dass der Ast an dieser Stelle abgenommen und separat eingepflanzt werden kann. So entsteht ein neuer Baum ausgehend von einem erfolgreichen Zuchtexemplar, bzw sogar gleich mehrere auf einmal.

Anhand des folgenden Prachtmodells erklärt JJ mir, wie sichtbare Wurzel und Äste eines Baums in einem Verhältnis stehen, dass es stimmig ist. Ein dünner Ast an einem dicken Körper wirkt falsch, Äste die gegeneinander wachsen, weisen nur auf Unerfahrenheit des Bonsaikünstlers hin. Auch wichtig, zu sehen, dass der Baum sich (im besten Fall) leicht nach vorne neigt. JJ schwelgt in Analogien zum menschlichen Körper und beschreibt, wie ein ganz leicht nach vorne ausgerichteter kraftvoller Körper Mut zeigt, Standhaftigkeit, Eleganz; während ein leicht nach hinten ausgerichteter Körper Schwäche zeigt, Unsicherheit und Standpunktlosigkeit. Dieser Baum hier ist gerade aus einem frischen Nachschnitt gekommen. Er ist viele Jahre alt, die Folie ist, wie gesagt, zum Schutz da, damit er dort nicht austrocknet.

Apropos Trocknen. JJ betont, dass zwei Sachen immer da sein müssen, Sonnenlicht und Wasser. Er gibt seinen Bäumen täglich Wasser und macht sie auch beinahe täglich ganz nass. Von oben bis unten. Krone, Blätter, Rind, Wurzel. Im Schatten dürfen seine Bäume nur stehen, wenn sie frisch aus der Erde genommen worden waren, oder wenn ihre Transformation zum Bonsai mit dem ersten Schnitt und der ersten Vedrahtung beginnt, schlichtweg, damit die Dinge erstmal ein bisschen langsam gehen. Wir gehen weiter durch die Sammlung. Ich kopiere gleich mal eine Menge verschiedener Formen rein. Das sind nun alles Bonsais, bis auf die gespaltene Kokosnuss (2. von links oben) die quasi schon in einer gewissen Vollendungsstufe sind. Nur dass es niemals aufhört, wenngleich das Wachstum durch gezielten Schnitt und das Zulassen von Blättern irgendwann nachlässt :

Nachmittags kommen wir dann zu einem gewissen Höhepunkt. JJ führt mich zu einer Betonsäule, in die er vor 3 oder 4 Jahren einen Baum eingepflanzt hat. Er macht seine Töpfe eh meistens selbst, also die für lange. Für ein erstes Willkommen eines Baumes reicht zumeist ein Plastiktopf. Vor also 3 bis 4 Jahren war dieser Baum ein Neuzugang aus dem Sumpf nahe dem Meer. Es ist ein lokaler Baum, dessen Duft die Mosquitos abwehrt, also sehr nützlich. Als er ihn gefunden hatte, kam ihm an Wuchs und Art des Baumes etwas bemerkenswert vor. Damals hatte er ihn vorgeschnitten und dann sich selbst überlassen. In dieser Zeit durfte sich der Baum auf intensives Wachstum einiger Äste (man macht immer ein paar mehr, falls einer es nicht schafft) und um den oberen Teil der Wurzel konzentrieren. Anfangs wurde er ein klein wenig gewickelt, damit die Äste auseinandergehen. Wir zertrümmern also den Topf und nehmen das Bäumchen raus, entfernen die alte Erde und ein wenig Vulkansand. Legen die großen Wurzeln frei. Da liegt er dann vor uns, gekappt und aus der Ruhe geholt. Als erstes, sagt JJ, müssen wir bei deinem Baum (denn das wird mein erster Bonsai) rausfinden, von wo aus seine Art am besten und vollständigsten erfasst werden kann.

Seine aktuelle Vorderseite ist ca, wenn man auf dem 4. Bild der folgenden 5 Bilder von JJs Hand aus auf den Baum schaut. JJ hat ihn ziemlich nackig gemacht. Er sagt, dies ganzen kleinen Triebe lenken den Baum nur ab. Also hat er ihm hauptsächlich zwei lange Äste gelassen, die beide schon ganz gut entwickelt sind, und in der Nähe dieser beiden langen Äste jeweils 2 Triebe stehen lassen mit jeweils 3-4 Blättern. Es schmunzelt und erklärt. Diese beiden Äste denken jetzt, dass sie die Stars dieser Show sind. Aber wir benutzen sie bloß, um Energie in diese beiden seitlichen Triebe zu ziehen. Sobald die richtig kommen, nehmen wir die langen Äste ab. Offenbar wirken die Äste in ihrer unverhältnismäßigen Länge wie Pumpen für Wasser und Nährstoff, also wieder sieht JJ, was nicht da ist. Wir gehen auch mehrfach um den Baum rum und schauen von oben auf ihn drauf, versuchen seine Zukunft zu sehen, es ist unglaublich spannend.

Um uns herum, unbeeindruckt von den Geschichten, haben die Hunde ihr eigenes Leben und amüsieren sich, zanken sich oder poofen. Einer ist mir aufgefallen, er lag den ganzen Morgen hinter mir, ganz ruhig. Als es Nachmittags dann Essen gab, ist er auch raus. Es ist der mit den traurigen dunklen Augen oben in der Mitte des Bildes. Es war am Abend davor von einem Auto angefahren worden, gebrochenes Bein. Nach kurzer Bewegung sehen wir ihn nur noch schwer humpeln und immer wieder zusammenkrachen, bis er liegen bleibt und nur noch weint. “Dein Hund leidet”, sag ich zu JJ, worauf der nur antwortet: “Ja, mach ich gleich weg, aber schau mal, wie wir die Schnitte mit Paste versiegeln und mit Lauge vergammelte Stellen in der Wurzeln sauber machen.” — Kurz darauf, mein Bäumchen ist bis auf die Haut nass und steht nackig in der Sonne, streckt sich auch JJ und meint, wart mal eben. Ich muss kurz den Hund heilen…

Er kauert sich also zu dem weinenden Hund und macht 2-3 Minuten Rejki mit ihm, so eine Art Handauflegen. Sobald seine Hände da sind, wird der Hund ruhig, entspannt sich vollständig und scheint das zu genießen. Als JJ fertig ist, läuft der Hund davon und macht es sich irgendwo unter einem Tisch gemütlich. Heute höre ich keinen Laut mehr von ihm mit seinem gebrochenen Bein. JJ sagt, er habe eigentlich keine Ahnung von Rejki, sei schon gar nicht Meister oder sowas. Soweit er das verstanden hätte, denn seine Puertorikanisch-Amerikanische Frau ist wohl Rejki-Meisterin und macht Retreats in Bali, beruhigst du und entfernst, was den Körper hindert, die Kleinigkeit selbst in Ordnung zu bringen. Ok, klingt interessant.

JJ hat früher in einer Bar in Canggu gearbeitet. In den 90ern begann er, mit Bäumen zu arbeiten. Irgendwann vor 20 Jahren oder so kam er zu dem Grundstück und seitdem vergeht kein Tag, wo er woanders sein will. Die ganze Atmosphäre hier ist ruhig, schön, fast besinnlich. Auch die Leute, mit Ausnahme des poltrigen Kochs, aber der ist ja in normalen Zeiten woanders, sind leise, offenbar daran gewöhnt, vorsichtig und still zu agieren, um die Ruhe und Schönheit des Orts nicht zu stören. Und wo so viele Bäume schlafen, um irgendwann später schön und anmutig zu erwachen, da will man keinen Lärm. Es läuft keine Musik, man ist konzentriert. Mir gefällt das. Mir gefällt auch die Idee, die Zukunft des Baumes zu erahnen, sein Potential, und dann mit viel Geduld und Zeit und Hingabe zu assistieren, dass er wird, was er sein will. Das ist alles sehr individuell, bei dem einen Baum macht man viel, wie bei dem hier gleich, bei anderen dauert es einfach ewig, keine Pflanze ist identisch, und geeignet sind nur Bäume, die es irgendwie in sich haben. JJ ist sicher, dass Bäume glücklich machen, zumindest geht das ihm so und allen, die er kennt, erzählt er mir, nachdem ich ihm von meinem Baumprojekt verichtet hatte. Er weist auf ein kleines Grafito an der Wand seiner Bambushütte, wo offenbar eine Art Motto geschrieben steht, das ich nicht weiter kommentiere: «Willst du einen Abend glücklich sein, kauf dir eine Flasche Wein; willst du zwei Wochen glücklich sein, heirate, willst du dein ganzes Leben glücklich sein, dann wirst du wohl mit Bonsais arbeiten müssen.» — hier ein Prachtstück mit einer Menge Aluminium.

Diesen Samstag fahre ich wieder runter nach Klunk Kung. JJ warnte mich, dass bislang er fast alles gemacht hätte, ich nur zugesehen habe. Das werde sich ändern. Den zweiten Termin gestaltet er so, dass ich eigentlich alles mache und er nur zusieht, ob ich wenigstens ein wenig verstanden habe. Und am Ende des Tages bekomme ich meinen Baum mit, den ich dann irgendwie auf den Roller binden muss. JJ wird zukünftig auch bei Naya mitmachen. In ein paar Wochen kommt er mich dort besuchen und wir gehen über das ganze Grundstück und in den Dschungel und suchen Bäume, die sich als Kandidaten für das Bonsaiatelier, das ich dort einrichten will, empfehlen. Ich plane gerade einen großen Kunstraum mit Werkstätten für Malerei, Bildhauerei, Töpfern und Bonsaikunst, verbunden mit diversen Treehäusern oben um die Baumkronen, in denen gestaltet, diskutiert, inspiriert, gebrainstormt und konferiert werden kann. JJ wäre der optimale Kandidat für Vorlesungen über die Kunst des Bonsai, mal sehen, vielleicht reizt ihn auch Ikebana.

So sind die Dinge hier. Ich bin mittlerweile allein. Sarah ist daheim gut angekommen. Qarantäne fast schon vorbei. Es ist etwas wärmer geworden, aber über 25 Grad haben wir immer noch nicht. Gott, wenn ich denke, dass zuhause alle denken, ich bin in den Tropen, dabei höre ich von 34 oder mehr Grad… hat es hier nie. Es ist immer noch viel zu tun, viel Arbeit an den Büchern. Das Team ist teilweise im Urlaub. Ich habe eine wunderbare Gitarre aus Ubud und einen kleinen Röhrenverstärker gekauft, womit ich mich herrlich auf der Hängematte abends amüsiere. Und ich mache jeden Tag 20 Minuten Indonesisch. Es geht mir gut, bissel einsam. Aber Tidak apa-apa wie man sagt, kein Problem. Bin gespannt, wie es in Europa weitergeht, damit ich mal überlegen kann, wann ich zurückkomme.

Ihr machts gut, seid vernünftig, sozialdistanziert maskiert, passt gut auf Euch auf und Sempai Jumpa. Niklas

Niklas WeißKommentieren