Winter in Bali
In den letzten Tagen, in denen Sophia noch bei uns war, und seit die Möglichkeiten sich fortzubewegen oder Ausflüge zu machen vage wieder da waren, haben wir uns aufgemacht, ganz im Süden ans Meer zu fahren. Es ist wunderschön an diesen Surferparadiesen, die Wellen sind hoch, die Menschen dutzendweise im Wasser, aber so ganz ist es eben noch nicht, was es normalerweise ist; die schönen offiziellen Stellen sind alle noch geschlossen. So auch Uluwatu, der heilige Wassertempel im Süden von Badung, ein ziemliches Muss auf den Listen der üblichen Touristen, aber auch ein Muss für viele Balinesen, da dies, wie Tanah Lot, ein Ort ist, wo man mit Dämonen, Geistern und Göttern des Elements Wasser auf Tuchfühlung geht. Jeden Monat machen alle Balinesen zu Vollmond das Wasserritual, und ein beliebter Ort hierfür, ebenso wie für Hochzeiten, ist Uluwatu. Wir sind also weitergefahren und am inoffiziellen Uluwatu Beach, einem reinen Surferparadies, den Berg hinabgestiegen auf einer langen Treppe und in ein kleines Piratennest gekommen, in dem just an diesem Tag die ersten Cafe’s wieder aufmachten. Für die Balinesen ist alles, was einen aus dem Village führt, eine Reise; wie hat die Bedienung im Café, wo Sophia und ich ein Mie Goreng gegessen haben, gestaunt, dass wir aus dem doch nur ca 55 km entfernten Ubud für einen Tagesausflug in den Süden gekommen waren, Weltreise...
Die See war wie immer, Wellen bis vielleicht 4 Meter eventuell schon anspruchsvoll für die kleinen schwarzen Punkte dort unten. Allerdings waren sie mehrheitlich schon ziemlich gut, kein Wunder, da ja nur noch Hartgesottene auf Bali geblieben sind, seit Corona die Runde machte. Und diese Leute haben Monate lang gewartet, dass es endlich ein wenig weniger verboten war, zum Strand zu gehen und das Brett auszupacken. Auf Facebook ließ sich das gut verfolgen: Die Surfer hatten nur ein Thema, wann dürfen wir wieder raus?!
Auf dem Rückweg, den wir quer durch die Halbinsel südlich des Flughafens antraten, um in Seminjak Sarah zu treffen, die Freunde besucht hatte, kamen wir recht nahe an die unglaubliche Garuda-Vishnu-Kencana-Statue heran, der Nationalpark war natürlich geschlossen, die mit 121 Metern mehr als imposant ist und zumindest im Süden Balis von überall aus gesehen werden kann. Die eine Emanation der Haupt-Hindugottheit (wenn ich das recht verstanden habe), die aus Brahma, Shiva und Vishnu besteht, Gottverkörperungen für Kreation, Zerstörung und Wiederaufbau und mehr natürlich, Vishnu, reitet hier auf dem Garuda, offenbar einem mythischen Abatross und Wahrzeichen Indonesiens. Aus der Sicht der Balinesen ist Vishnu um den Kampf gegen zerstörerische Kräfte bemüht und unterwegs, wo er kann das Gleichgewicht, die Balance, wiederherzustellen. Die Statue ist imposant, leider erinnert die schiere Monumentalität und der viele Beton aber auch an osteuropäische bzw. slawische Auswüchse von Heldenverehrung. Die üblichen, balinesischen Kriegergestalten aus der Bagavadghita, die zumeist Straßenkreuzungen verzieren, sind auch groß, aber mit 5-6 Metern nicht monumental. Und sie sind sehr fein gearbeitet und prachtvoll anzusehen, aus weißem Marmor, wie es scheint. Vielleicht soll diese Monumentalgestalt auch eine Art Versöhnung zwischen dem Großreich Indonesien und der Kleinigkeit Bali darstellen, wer weiß. Beeindruckt waren wir allemal.
Auf der Suche nach einem anderen bekannten Strand sind Sophia und ich dann über Feldwege, die bei uns schlichtweg Bürgersteige genannt werden würden, weiter ins Dickicht gefahren. In der Nähe der Steilküste trafen wir auf einen Balinesen, der ein verlassenes Honeymoon-Ressort bewachte, wo natürlich sonst keiner war. Er wollte mit uns sprechen, und als er erfahren hat, wonach wir suchten, wies er uns einen Weg ins Dickicht, der seiner Auskunft nach gerne von Leuten wie uns genommen werde, um an einen besonderen Strand zu kommen. Also machten wir das, kamen an einem Bauernhof vorbei, an einer Kuh, die zwar angebunden aber dennoch ernsthaft wirkte und stießen auf einen Holzzaun, der offenbar vor einem gewaltigen Absturz, runter auf den Tramstrand, schützen sollte. Hier ist ein Bild genau von diesem Zaun aus:
55 km in Bali sind ohne weiteres 2 Stunden Fahrt auf dem Scooter. Alles geht langsam oder Hati-Hati, wie es hier heißt. Wir hatten einen schönen Ausflug, zwar ohne Baden im Meer, aber egal, schließlich ist ja auch Winter in Bali. Hört sich komisch an, oder?! Winter in den Tropen, aber es ist wahr. Ich wusste das nicht, da ich kaum jemals lange in den Juli hinein oder gar länger in diesem Teil der Welt war, Asien zumeist eine Winterdestination für uns Europäer ist. Im Sommer ist es ja in Europa klasse. Hatten wir im Februar/März/April durchweg, ob nass oder trocken, 29 Grad, manchmal mehr, so haben wir nun 25-27 Grad Celsius, das ist natürlich noch kein Drama. Allerdings hat es, zumindest hier in Ubud, wo das Wetter eh stets schlechter ist als unten an der Küste oder auch an der Nordküste, weil bergig, extrem viel Wind und ja, der Regen ist zurück. Die Regenzeit ist seit Ende März fertig, aber die wichtigsten Monate derselben, November-Dezember, waren trocken gewesen. Erst Mitte Januar hatte es begonnen zu regnen. Also fehlte Wasser, und die Balinesen freuen sich jetzt, dass es jetzt zurückkommt. Ständig, alle paar Tage, manchmal täglich. Normal ist das nicht. Der Wind allerdings und ein leichter Temperaturfall sind normal. Für Bali ist das die Kite-Season, die bis August andauert. Es geht schon seit einigen Wochen, dass ein Blick in den Himmel das Auge auf Hunderte von kleinen bis großen Drachen lenkt. Volkssport, im Kleinen wie im Großen. Im Village sehen wir das, wenn die Kinder mit ihren Vätern (alle haben ja jetzt viel mehr Zeit als üblich) rausgehen, um die Drachen steigen zu lassen. Drachen mit Licht für die Nächte, und mit “Ton” für immer. Ein Gesumm, Gebrumm hebt da an. Und wenn man mal nachts draußen ist auf dem Land, dann sieht man fluoreszierende Lichter im Himmel, das sind die Drachen, die leuchten. Wie alles hier, ist es zum Teil Alltag, zum Teil Gottesdienst. Ich habe bereits einige Hinweise auf Veranstaltungen bekommen, die mit den Luftgöttern und Dämonen zu tun haben, ich denke mal, die Drachen übernehmen da auch eine gewisse Aufgabe, Und findig wie die Balinesen sind, wird schnell aus einem Taxifahrer, unserem Freund Ardi, der uns abholt und zum Flughafen bringt, wie unlängst Sophia), ein Kite-Designer. Damit verdient er sich ein wenig Geld, da sein Auto stille steht.
Letzten Samstag war Sariswati-Tag, ein Tag, an dem es um Erkenntnis, Bewusstsein und Lebensziele geht. Am Tag danach war Vollmond, das ist hier immer sehr aufwändig, wie gesagt auch verbunden mit den Wasserritualen (Melukat), alle Menschen hier machen das. Und es wird geopfert in schönsten Formen. Unsere Freunde Ludwig und Peter von Naya hatten uns eingeladen, den Sonntag dann dort zu verbringen, in Umadawa, Pejeng, wo wir ja am Überlegen sind, mit einzusteigen. Am Nachmittag ging es los in balinesischen Prachtgewändern und im Fruit Garden, der nach der Form eines Sariswati Mantras angelegt ist. Ich schiebe mal ein Bild davon hinein, da ich genug Bilder vom ganzen Compound habe; ich mache ja gerade die Website von Naya neu. Ludwig und Harumi sind in engem Kontakt sowohl mit dem lokalen Bajar, also der wichtigsten Form der Verwaltung. Wie so oft die kleinste Einheit, aber die mit dem tiefsten Impakt, als auch mit einem Ashram dort im Dorf. Der Priester und seine Assistentin machen die Ceremonies auf Naya. Dies ist bereits unsere zweite. Aber die erste, bei der ich vollständig nass geworden bin, und das im vollen Wichs. Wasserrituale gehen immer um Reinigung. Von was und für was ist eine Sache für sich. In diesem Moment ging es um den Abschluss von Vergangenheit und den Aufbruch in Zukunft, so wurde es uns erklärt. In sieben (oder neun, nicht sicher) Stationen wurden die Chakren gereinigt und wir durften Intentionen äußern, im Stillen, nicht vor allen. Das Ganze hate auch entfernt mit Business zu tun, also dem eines jeden. Was will man wirklich, was macht Sinn, wohin bricht man auf, wohinein investiert man seine Energie sinnvoll? Entlang Ludwigs indischer Philosophie begann das alles im Nordosten (Wasser) und bewegte sich zum Südosten (Feuer), wo dann auch eine Feuerzeremonie auf uns wartete.
Ich weiß, es sieht ein wenig aus, wie weiland bei den Beatles in den 70ern. Ist aber nicht so. Es war schön, ein wenig Mediatation, bei der es zu regnen begann (laut Priesterin ein sehr gutes Zeichen) und später viel Gesang in einer uralten Sprache. Hier ist viel Respekt und wenig Glaube. Für die Balinesen gibt es keinen Glauben, hier nennen sie es Wissen. Bei uns entsteht Wissen, wenn man sich dem Glauben verweigert, quasi als Gegenstandpunkt, “glaubst du oder weißt du”? In Asien scheint das völliger Unsinn. Glauben ist eine Haltung, die man einnehmen muss, weil jemand will, dass man glaubt oder ein Glaubender ist; Wissen ist etwas was man tut, man “weiß”. Aber nicht, weil man wissenschaftliche Beweise eingeatmet hat, sondern weil man Glauben erweitert mit Überzeugung. Vielleicht ist es eine Frage, ob man glauben will, oder ob man wissen will. Nur was ist Wissen? Ich denke, Wissen ist Glaube ohne Zweifel, mit Überzeugung und zufrieden, dass auf dieser Basis die Dinge genau so sind wie sie sind. Wie bereits zuvor berichtet, ist Markandya im 8. Jahrhundert mit 100 Gefolgsleuten von Java aus nach Bali gefahren, um die Insel der Götter zu sehen. Alle bis auf ihn seien gestorben, weil man vor Gefahren und Wildheit stand, denen nicht bezukommen war. Nach Jahren von Meditation und Gebet fand Markandya Einsicht darin, wie die Insel zu behandeln war und schrieb das alles auf. Interessanterweise ist das in allen Details bis heute genau das, was die Balinesen tun in ihren Gottendiensten und täglichen Opfern. Sie machen das, damit die Insel richtig behandelt wird und ihren Zweck erfüllen kann. Aus diesen Gesetzen, zuvörderts dem Tri-Hita-Karana, Frieden mit den Göttern, den Menschen und der Natur zu halten, beziehen die Balinesen ihr ganzes Wissen seit nunmehr 1200 Jahren.
Ich habe zwei Videos für Naya gemacht, die ich hier reinkopiere. Das Projekt ist wirklich extrem spannend. Nicht dass mich die esoterischen Inhalte so sehr fesseln, es ist eher etwas, was anderweitig wirklich meinen Namen ruft: Naya ist so voller Möglchkeiten, wie ich es eigentlich noch nie vor mir gesehen habe. Höchstens als ich ganz jung war, in dem Gefühl, du kannst machen was immer du willst, du brauchst nur eine Idee und Energie.
Gerade finalisiere ich die Website, die ich für Ludwig gemacht habe. Es macht uns großen Spaß mit den Leuten hin und wieder was zu unternehmen. Aber auch hier in Ubud haben wir Anschluss gefunden. So gehen wir regelmäßig mit einem Indo-amerikanischen Paar essen; sie haben sich in den Kopf gesetzt, dass wir viele lokale kleine Läden kennenlernen sollen. Führen uns also weg von den touristischen Leitlinien. Sehr begrüßenswert. Beide haben ein Geschäft hier in der Hanuman Road.
Als Covid kam, mussten auch sie überlegen, wie sie es schaffen, über die Runden zu kommen, vor allem inklusive des Teams. Also haben sie alle Leute kurzfristig umgeschult und zu Köchen gemacht und damit Nusa Tonic Kitchen aufgezogen, wo wir monatelang unser Mittagessen herbekommen hatten. Viele arme Leute haben davon profitiert, aber nun, da alle Welt glaubt, es sei Sommer und Corona Vergangenheit, verebben die Spenden. Sie haben deswegen eine Funding-Website eröffnet, um die Zukunft der Armen und ihrer Mittagessen zu verbessern. Wer hier was leisten will oder kann, ist herzlich eingeladen: https://fundrazr.com/nusatonic. Seit wir begriffen haben, wie vielen Leuten sie Essen umsonst geben, haben wir unsere Mittagessen gestiftet, als wir sahen, dass das nicht reicht, haben wir noch eins mehr gestiftet. Die Krise hört eben nicht auf, auch wenn es in Teilen der Welt ruhiger wird.
Über uns die Drachen, sie leuchten und sirren, brummen. Seit heute ist die Notstandszeit vorüber und übergegangen in eine unklare Zeit. Keiner weiß, was jetzt Sache ist. Sarah hat ja ihren Flug am 6.8. Ich wollte eigentlich noch ein paar Wochen bleiben, aber weiß nicht, ob das geht, ob die alten Visa-Extensions noch wahrgenommen werden können oder nicht. Auf allen Kanälen, Whatsapp, Facebook, Instagram, Email bin ich in Kontakt mit dieser Behörde oder diesen Agenten… mal sehen, was die nächsten Tage bringen.
So, jetzt habt Ihr alle ein kurzes Update, sorry dass es so lange gedauert hat, mehr als einen Monat, aber ich hatte soviel Arbeit. So geht es eben, sogar in den Tropen. Und nach der Krise, oder sagen wir während sie abflaut, ist sie eben immer noch da, und man freut sich, dass es immer noch Projekte gibt, die abgerechnet werden können, bzw ist das eine Notwendigkeit.
Machts es mal alle gut und passt auf Euch auf, viele liebe Grüße von der Insel der Götter. Niklas