Lockerunugen in der neuen Regenzeit

Letztes Wochenende kamen wir uns plötzlich vor, wie belagert. Davor hatte der Regen wieder begonnen, aber nicht nur ein Niesel sondern heftige tropische Güssen, die stundenlang dauerten, sowie massiven Gewittern. Auf unserem Grundstück hatte sich ein großer Baum gelockert und ist umgestürzt und über den Zaun auf das Nachbarhaus gefallen. Viel ist nicht passiert, aber da unser Grundstück und das Nachbarhaus derselben Familie gehören, gab es natürlich sofort Aktivismus. Wir wurden informiert, dass tags drauf jemand aufs Grundstück kommen würde, da der Baum ja weggemacht werden musste. Verschwiegen wurde, dass die Holzfäller wie Ameisen über uns herfallen und aus einem heimlichen Juwel, das verborgen in seinem eigenen Wald liegt, ein offen da liegendes Grundstück machen. Die Besitzerin in Kanada, die ich gleich informierte, schäumte, sicher mehr als 10 alte Bäume wurden viel gröber abgehackt als wir das von Balinesen in ihrer Naturliebe gewohnt sind. Wir alle waren den ganzen Tag total verstört. Aber klar, die Leute dürfen das. Sie sagten uns, dass der Boden zu nass sei, die Bäume zu hoch, die Gefahr zu groß… Und das eh alles wachse wie verrückt, bald sei wieder alles voll von Bäumen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, konnte ich dann den Augen nicht trauen. Das Bild oben ist direkt aus dem Bett gemacht, von alldem hatten wir vorher nichts gesehen, da ja dichte alte Bäume vor dem Fenster standen — wir übersehen den ganzen Campuhan, also das Tal, in dem das spirituelle Bali gegründert wurde. Und hinter dem kleinen Bürotempel, in dem ich meistens arbeite oder wir essen, konnten die Bäume stehen bleiben. Hier ein Bild, auch vom Bett aus gemacht:

So waren wir dann am nächsten Tag leicht bedröppelt, weil es für uns – trotz des Verlusts von viel Privatsphäre – eigentlich grandioser geworden ist, mit 10 oder mehr Bäumen weniger, obwohl wir tags zuvor doch noch so traurig waren. Und schon steckt man in einem Dilemma zwischen dem, was man gestern gefühlt hat und heute erlebt.

Ansonsten hat sich hier auch schon eine Menge gelockert, zudem wird Ubud sichtbar voller, allein schon, weil die Balinesen mehr draußen sind, viele Geschäfte wieder aufmachen. Sophia und ich waren der Geschichte nachgegangen, wie RSI Markandeya im 8. Jahrhundert nach Java gekommen war und von der Insel Bali gehört hatte, die damals noch ein gefährliches Pflaster war mit schlimmen Vulkanausbrüchen, komischen Krankheiten, wilden Tieren. Er reiste damals an mit vielleicht 100 Anhängern, die alsbald alle starben, der Mönch hatte die Insel nicht begriffen. Er meditierte dann lange und hoffte auf ein Zeichen der Götter, hatte er immerhin erkannt, dass die Insel ein sehr besonderer Ort ist. Als er seine Antworten erhalten hatte, machte er einen neuen Versuch und kam ungefährt 5 Minuten von hier aus zu Fuß an die Stelle, wo der Campuhan- und der Ubud-Fluss zusammenkommen und ein Flusstal bilden, reich an Heilkräutern, wovon Ubud auch seinen Namen hat. An dieser Stelle entschied der Mönch seinen ersten Tempel zu bauen, und den Balinesen diese ganzen Regeln des Götterdiensts zu geben. Alles, was wir hier heute sehen, entsprint seinen Regeln, die Opfergaben, die Zeremonien, das Tri Hita Karana, also das Balinesische Grundgesetz. Und diese Regeln wurden eingeführt, um die Insel zu beruhigen und zu dem Paradies zu machen, das es dann wurde. Es heißt, Bali sei ein Geschenk der Götter an die Menschen, aber es heißt auch, dass es als solches behandelt werden muss!

Hier stehen wir unter der Brücke. Dort wo die Menschen baden, ist genau die Stelle, an der die zwei Flüsse sich treffen. Die Treppe darauf führt in den uralten Tempel. Wir wollten uns dort nicht lange aufhalten, schließlich ist das ein rituelles Reinigungsbad, was da stattfindet. Aber wir gehen da bald nochmals herunter. Man kann jetzt besser kleine Ausflüge machen, und da Sophia bald abreist, falls das vierte Flugticket, das wir für sie gekauft haben, endlich mal hält, wollen wir in den nächsten zwei Wochen auch mal öfter raus aus der Stadt. Die ersten Strände haben geöffnet, sicher ist aber noch nichts. Die Nachrichten springen hin und her: Mal heißt es aus der Provinzregierung, dass im Juli das Neue Normale eingeführt werde, mal heißt es, dass es gut und gerne Oktober werden kann, bis man den Spuk für beendet erklärt.

Heute war unsere Freundin Putu da. Wir hatten sie angesichts des Kahlschlags hier auf dem Grundstück gebeten, mit uns Opfergaben zusammenzustellen und damit das Grundstück etwas zu beruhigen, naja, man gewöhnt sich hier sehr an den Gedanken, dass die Leute solche Sachen eben dauernd machen. Und bei uns kommt eben nur einmal pro Woche die Landbesitzerin und macht ihre Opfer. Das ist wenig. Also kam Putu heute früh mit säckeweise Blüten, einer fusseligen Grünpflanze, Unmengen von Kokospalmblättern, Bambusfasern und einem weißen klebrigen Talgzeug. Sie hat mit uns den ganzen Vormittag zig kleine Körbchen gebastelt und dekoriert, bevor wir dann Blüten eingelegt haben, Obst, Kekse, Reis und Linsen. Am Ende haben wir an allen wichtigen Punkten des Hauses diese Opfergaben angebracht und Putu hat das Gebet dazu gesprochen, alles im Sarong natürlich.

Heute Nachmittag sind wir wieder einmal zu Ludwig Lehner und seiner japanischen Frau Harumi nach Veda Vastu Naya gefahren, nach Peneng, ca 15 km von hier. Ludwig, der früher die Hemden von Thomas Gottschalk gemacht hatte und dann Weltenbummler wurde, hat sich dort auf einem kleinen Hügel, umgeben von Dschungel, einen Traum verwirklicht, ein nachhaltiges kleines Mikrouniversum, das ein Leben in der Natur, mit der Natur verspricht. Wir sind immer noch am Überlegen, hier eventuell mitzumachen, aber überstürzt wird nichts. Es wird aber sehr schön, hier ein paar Bilder. Dies ist die Yogahalle. Die Häuser werden auch Bambusstrukturen, sehr elegent soweit wir die Modelle verstanden haben. Ludwig klärt Grauwasser in einem fisch- und pflanzenreichen eigenen Fluss, die Fische produzieren Dünger für die Felder. Das Küchengas wird aus Pflanzen hergestellt, Strom wird erzeugt (oder vermehrt, habe das offen gestanden nicht verstanden, irgendwas mit Plasma…). Quellwasser wird gefiltert, beleuchtet und damit trinkbar, die Gärten sind in Permakultur und so weiter.

Nächsten Freitag gibt es bei Ludwig eine Vollmondveranstaltung, zu der wir eingeladen sind. Bis dahin werden wir eine erste Woche Lockerungen in Ubud erleben. Das Outpost hat eröffnet, also wird auch wieder bei richtigem Internet gearbeitet werden können, es geht also mehr nach draußen. Ist auch sehr wünschenswert. Wir waren lange zuhause.

Ihr machts es mal gut, passt schön auf Euch auf, nichts übertreiben. Ganz liebe Grüße, Niklas