Balinesisch auf Bali
Der letzte Bericht erschien vielen sehr traurig, und es kamen sogar freundliche Hinweise, wie eine beginnende Depression zu bearbeiten wäre. Danke. Abgesehen davon, dass mich der Untergang des Hubud-Coworkings tatsächlich sehr traurig gemacht hatte, und sogleich auch in einen gewissen Aktivismus geführt hatte, das Ganze mit wiederzubeleben, bzw. neue Gebäude zu finden, hätte ich den Schlusssatz durch Gänsefüßchen kennzeichnen sollen. Die “Traurigen Tropen”, das zielt auf den gleichlautenden Titel von Claude Levi-Strauss über seine ethongraphischen Studien in denselben, die ihm — sehr kurz beschrieben — auf den Untergang jeweils eigentümlicher Kulturen durch die Kontakte mit unseren Zivilisationen hingewiesen hatten. Jetzt passt das nur teilweise, denn die Kultur der Cowork-Spaces bildet natürlich etwas bereits fast schon Post-Zivilisatorisches ab und hat sicher selbst eine ganze Menge indigener Eigentümlichkeit zum Verschwinden gebracht — aber wir stehen ja nicht mehr am Anfang von Weltreisen oder eines modernen Nomadentums, sodass gesagt werden kann, wie ich finde, dass die Kultur dieses gemeinschaftlichen Arbeitens in den Tropen, inmitten von Natur, Lebensfreude und gutem Essen, Affen, Lärm, Gartenveranstaltungen, Stränden etc zu einer neuen, modernen tropischen Lebensweise geführt hat, von der ein Teil hier in Ubud und Canggu eben zuletzt untergegangen ist. Aber sicher nicht für lang, wir werden sehen, wie sich das alles weiterentwickelt.
Wir sind vor einer Woche umgezogen. Nicht, dass es uns nicht mehr gefallen hat, unten in Nyuh Kuning, im Gegenteil; wir waren dort schon sehr zu Hause, kannten jede Ecke, hatten unsere Läden und viele Kontakte mit unseren Balinesen. Nur hatten wir von Anfang an vorgehabt, nur drei Monate dort zu bleiben, wollten unbedingt auch wieder zurück ins Campuhan-Tal, wo es uns letztes Jahr so gut ergangen ist, mit Blick auf den ersten Hindutempel unten an der Brücke, den Campuhan Ridge gegenüber — wollten wieder durch den hängenden Wald zur Stadt fahren und auf den vielen kleinen Gassen von Penestanan zu Fuß unterwegs sein.
Wir sind vielleicht 4-5 km weg von Nyuh Kuning, aber dennoch fühlt es sich an, wie wenn wir weit weggezogen sind. Hat allerdings auch damit zu tun, dass fast zeitgleich mit unserem Umzug die Regenzeit unerwarteterweise wieder begonnen hat, die Temperaturen um ein paar Grad gefallen sind und der Himmel grau geworden ist. Zwischendurch gibt es Sonne, es reicht fast, ein wenig die Handtücher, die Rucksäcke, Decken und anderes anzutrocknen, aber nur fast. Man ist eigentlich stets klamm, der Boden ist feucht, es gibt sehr viele Mücken. Vor ein paar Tagen haben wir eine kleine Wanderung gemacht, über den Campuhan Ridge nach Norden, soweit es eben ging. Wir sind dann über ein Flusstal im Nordosten Ubuds wieder zurückgekommen nach ca 2,5 Stunden, schwitzig aber happy. Nicht viel war los auf dem Weg, in den Dörfern lungern zumeist junge Männer in schattigen Buden und schauen, ob die Leute Masken haben; hin und wieder machen sie einen auch aufmerksam darauf, dass man eher nicht durchs Dorf gehen soll. Die Corona-Hoheit hier ist ganz in die Hände der Peccalang gegeben, also der Banjar-Bosse mit ihrer Religionspolizei (hört sich schlimm an, es sind einfach die mit dem Schriftzug auf dem T-Shirt, die einen manchmal wegschicken, wenn man zur falschen Zeit in einen Tempel will). Die Provinzregierung ist mehrfach gelobt worden, dass sie diesen Zug gemacht hat. Die Dörfler, und hier ist alles über Dörfer organisiert, selbst innerhalb der Städte, sind die einzigen, auf die die Leute wirklich hören, nicht die indonesische Polizei oder Beamte. Und wenn sie sagen, wir machen jetzt mal vorsichtig wegen Covid, dann halten sich die Leute an die Regeln. Und jedes Dorf hat jede Freiheit, diese Regeln aufzustellen. das ist natürlich auch nicht immer sinnvoll oder konsistent. Die einen verbieten die Strände, die anderen nicht, hier wird Fußball gespielt, dort ist es verboten. Aber die Fallzahlen und vor allem die Totenzahlen sind hier so gering, dass es entweder eine gute Methode ist, oder es eben stimmt, dass Corona durch Bali schon im Dezember/Januar durch war. Unter den Nomaden erzählt man sich, dass diesen Winter einfach jeder krank war, Husten, Fieber, Langnasen oder auch Einheimische — und Bali hatte sogar tägliche Direktflüge nach Wuhan, Billigflüge… bevor wir angekommen sind, wurden gerade 20.000 Visas von Wuhanchinesen storniert.
Hier sehr Ihr, wie balinesisch grün und üppig das alles ist. Oben links die beiden Bilder sind auf den kleinen Wegen in Penestanan entstanden. Hinter dem Haus geht es alsbald in eine Schlucht, die völlig verdschungelt ist, viele bunte Blumen, aber auch immer wieder schöne Ansichten von Häusern, die sich daraus erheben. Der Rest der Bilder ist vom Campuhan, unserem Weg nach Norden und über eine schöne offene Landschaft dann wieder durch zwei Flusstäler zurück nach Ubud. In Kedewaten, also dem Dorf leicht nordwestlich von uns, leben viele Künstler, die nicht nur die Tempel schön verzieren, soondern sogar die Gesimse außerhalb, wie zum Beispiel dieses hier, das unweit des Balinese Home Cooking ist, welches (als unser Lieblingsrestaurant) schon ein paar Mal im Blog war.
Ansonsten haben wir noch ein paar Baustellen besichtigt, die in Frage kämen für eine Fortsetzung des Hubud Coworks. Allerdings ist dann doch die Resonanz aus dem Bereich der Mitglieder so unterschwellig, dass ich mich da eher nicht investiere. Am Anfang haben alle geschrien nach Rettung und man müsse doch was machen… mit den Wochen ist dann aber außer einer überschaubaren Spendenaktion bei GoFundMe für die Angestellten, die jetzt seit Monaten ohne Gehälter sind, geblieben. Ich hatte noch mehrfach gefragt, ob sich eine Gruppe bilden könnte, um wenigstens mal die Chancen und Koordinaten von möglichen Lösungen auszuloten, aber wenn es ums Tun geht und nicht ums Schwätzen in Sozialen Netzwerken, dann wird es stiller. Hier ein paar Plätze, wo ich mir den neuen Cowork gut hätte vorstellen können:
Links ist ein Grundstück, das bereits dem Hubud-Cowork gehört. Es ist hier ziemlich genau unter unserem neuen Zuhause, am Ende der Penestan-Treppe im Eingang des Campuhan. Groß, mit Ruinen, halt ein Start von ganz von vorn. Mitte: Habe dieses Gebäude gefunden auf dem Weg nach Kedewaten, ist eine in der Zeit still stehende Baustelle, ein Bambusdach, riesiger Raum, sehr hoch (ca 10 Meter). Träumchen. Und rechts ist schon vom Tisch. Eine Ruine seit ca 10 Jahren, Familienzwistigkeiten, wie ich rausgefunden habe. Aber der Baum wäre der Hammer, so direkt davor. Und hinter dem Haus geht es direkt ins Campuhan-Tal.
Ich muss das nicht tun. Es hatte was, aber niemals würde ich allein hier so eine große Sache anschieben wollen. Ist ja auch nicht so, dass ich viel Geld rumliegen hätte — aber die Idee hatte doch einen sehr schönen Drive. Also noch nicht ganz “ab in die Akte”, aber es wird auch nichts übereilt.
Ansonsten ist hier immer noch Lockdown, wie gesagt, den Balinesen geht es nicht überall gut. Hier bei uns grundsätzlich schon, aber dennoch gibt es viele Leute, die durchs Raster fallen. Und für die gibt es die Gesellschaft der Dörfler, aber erstaunlicherweise auch Westler, die hier in der allgemeinen Ruhe sterbender Geschäfte oder selbst entlassen, nicht wegkommen oder -wollen und sich Aufgaben suchen. Eine davon trafen Sophia und ich vor 10 Tagen unten in Canggu. May aus dem Vereinigten Königreich hatte in Indien für eine NGO gearbeitet (Nicht Regierungs Organisation) und ist irgendwann vor ein paar Jahren hier in Denpasar gelandet in der Modeindustrie. Mit der Coronakrise und den vielen Entlassungen (hier gibt es ja kein soziales Netz) hatte sie dann neben viel Zeit eben auch viele ehemalige Kolleginnen, Näherinnen, Stoffschneiderinnen… und es fehlten Masken. Also hat sie die Bali Mask Society gegründet, um den armen Dörfern Masken und den Näherinnen Arbeit zu geben. Sophia und ich fuhren runter nach der Hauptstadt, um nach den Stoffmanufakturen zu suchen. Nachdem meine Näh-Idee geplatzt war, wechselte ich darauf, mit richtig guten Stoffen richtig tolle Masken zu machen, also war der erste Versuch, analog dazu, was hier in Ubud König und Prinzessin für sich gemacht hatten, auf die original alte Balinesische Batik zu gehen. Auf dem Weg nach Denpasar fanden wir aber nur geschlossene Manufakturen, überall Balken davor, wegen Social Distancing. Erst tief drinnen im Gewühl der Metrople kamen wir zu Dewis Shop, einem Stoffladen, der uns begeistert hat. Nicht, dass Dewi alte traditionelle Batikstoffe hat, im Gegenteil, er hat neue, frische, moderne, farbenfrohe. Hier ein paar Bilder, ich habe seine ganze Kollektion aufgenommen, auf seinen Rat, denn dann muss ich nicht mehr kommen, sondern einfach nur ein Kreuz aufs Foto machen (sagt der Rentner mir Spund).
Wir sind dann, nach Erwerb von 9 qm aus drei verschiedenen Stoffen, in eine Brotbäckerei in Kerburatan gefahren, wo wir mit Benjamin Casteillho aus dem Elsaß verabredet waren. Benjamin hat eine eigene NGO und arbeitet hart an einem weltweiten Bewusstseinswandel, damit die Menschen lernen, dass die Menschheit den Kampf gegen die Natur, wie ihn die Bibel beschreibt, längst gewonnen hat, und nun ihre Aufgabe erkenne, die Schöpfung zu bewahren. So wie wir ihn antrafen, sah er so aus, als sei der Kampf bald gewonnen, so euphorisch war er. Sarah und ich hatten ihn ja letztes Jahr schon getroffen, wie man sich vielleicht erinnert. Da war er sauer. Hier war er aufgekratzt und begeistert, beseelt. Wir hatten allerdings nicht soviel Zeit. May wartete in Canggu im Café auf uns.
Das sind die drei Stoffe, die ich ausgesucht hatte. May hat versprochen, qualitativ hochwertige Masken daraus zu machen, mehrlagig, mit Filtern. Und hat geliefert. Es gab 140 Masken aus 9 qm. Ich wollte nur 3 x 30, um einen Versuch zu starten, sie in Deutschland zu verkaufen, 50 habe ich May gelassen, die sie im Waisenhaus abgegeben hat. Jetzt warte ich nur, dass die Indonesier erlauben, dass Masken exportiert werden, momentan verboten. Dann schaun wir mal. Ich habe nämlich die Idee, dass es sicher eine Menge Leute gibt, die sagen: Wenn ich schon so eine doofe Maske tragen soll, dann soll sie wenigstens zu meinem Outfit passen und gut sein. Voilá. Wir machen Pakete mit je drei Masken, alle mit Filtern. Jeder Verkauf spendet dann gleichzeitig auch für die Leute hier. Mal sehen, ob das klappt. Letzte Woche habe ich eine neue Website angefangen, sie heißt Apropos”, es ist ein profitfreier Marktplatz im Internet, wo Geschichten von Produkten erzählt werden. Die kann man sich anschauen, ich erzähle sie. Man kann etwas kaufen, aber es gibt keine Profite, keine Einkaufsgewinne. Wer schafft, bekommt, was er eben braucht. Wer was bei mir kauft, der kann selbst noch etwas drauflegen, wenn er meint, ich hätte die Geschichte gut erzählt etc. Ne ganz neue Sache, die Masken gehen hier hinein. Außerdem ein Teak-Holz-Laptopständer (benutze ihn gerade) von Buana aus Sayan, der sie von Hand schnitzt. Den interviewe ich Samstag. Und Ketten von Savitri, Yogalehrerin. Aber mehr dazu bald. Jetzt macht es mal gut, passt auf Euch auf, übertreibt es nicht mit der neuen Freiheit und seid sozialdistanziert umarmt. Niklas
PS: Und wer sich fragt, was ist, wenn wir hier krank werden sollten… Keine Sorge. Wir waren gestern im Krankenhaus hier, weil ich mir den Fuß zerschnitten hatte beim Ausgleiten auf einem nassen Stein im Garten. Super Service, voller Gesundheitscheck, super sauber, sehr professionell. Nie hatte ich diesen Service plus ein A4-Diagnosepapier mit allen Vitalwerten, Blutdruck, Lunge, Puls und was es alles so braucht aus einem Arztbesuch in D. Und habe die 40 € gerne bezahlt.