Die neue Leere
Wie vermutlich die meisten Menschen sind nun auch wir sehr zurückgezogen. Heute früh fuhren Autos durch die Straßen mit Megaphonen und ermahnten die Menschen, zu Hause zu bleiben. Alles ist nun sehr schnell gegangen. Am Freitag war noch alles ziemlich normal, mit der Ausnahme, dass am Cowork-Space bei allen Fieber gemessen wurde, aber das ist ja gut (36,5 bei mir). Am Nachmittag fuhren wir zu dritt etwas raus nach Norden, wo wir ein Haus gefunden haben, das wunderbar wäre für die Zeit, wenn wir hier in Nyuh Kuning nicht mehr mieten (ab dem 12. Mai). Ein Traum, ganz offen, direkt am Dschungel gelegen, mit Wänden aus Ton, die japanische Frau von Nyoman, der es uns gezeigt hat, hat es entworfen. Wir hoffen, dass wir es kriegen. Nyoman sagte allerdings, dass es ab 20. Mai bis August vermietet sei, nur dass er natürlich nicht wüsste, ob die Leute bis dahin stornieren (Airbnb bietet dies ja an). Man kommt fast nicht mehr hier rein, insbesondere da Singapore für den Transit geschlossen ist. Mal sehen, wie es mit Kuala Lumpur und Bangkok weitergeht. Wir bekommen es wohl, wenn Nyoman seine Absagen kriegt. Wie dem auch sei. Danach haben wir in Ubud kurz beim Bridges gehalten. Sarah wollte Sophia und mich gerne einladen für den Freitag nach Nyepie (nächsten Mittwoch, Neujahr 1943). Dort sagte man uns aber, dass es nicht sehr wahrscheinlich sei, dass sie weiterhin offen wären. Wenn wir also nochmal dinieren wollten, sollten wir das besser gleich tun. Sehr überraschend. Sophia hatte einen Schnupfen von der Klimaanlage (sicher kein Covid, kein Fieber, kein Husten, nur verrotzt, sowas gibt es ja auch noch), also sind Sarah und ich alleine gegangen. Wir wurden mit Thermometer empfangen (Sarah 36, ich komischerweise nur 34 Grad) und hatten einen sehr schönen Abend. Endlich mal wieder etwas Wein, ich hatte den Geschmack schon ganz vergessen.
Am Samstag früh, Sarah war auf einem Workshop mit großem Abstand zwischen den Teilnehmern (wahrscheinlich dem letzten hier auf lange Zeit), war ich auf dem Farmersmarkt, auch nur um zu erfahren, dass er für mindestens 2 Wochen nicht mehr öffnen dürfe. Also habe ich soviel ich auf dem Roller mitnehmen konnte eingekauft, bin noch in den Supermarkt und kam dann sehr vollbepackt hier an in unserer Eremitage. Sophia und ich sind dann auf eine Odysee gegangen, da ich eine Ohrenentzündung habe (was muss ich auch immer schwimmen gehen, selbst wenn das Ohr schon weh tut?!) und von meinem Freiburger Arzt eine Whatsap mit der Medizin bekommen hatte. Aber Antibiotika gibt es auch hier nur auf Rezept. Wir haben es also bei einigen Apotheken versucht mit unterschiedlichen Strategien, war aber nichts. Parallel ging es allerdings auch darum, für Sophia Schmuck-Material zu finden, da ihr hier die Decke auf den Kopf fällt und sie etwas mit den Händen machen wollte, Kettchen, Bänder, so Sachen. Und oben in Kedewaten, ca 8 km von hier, sollte es laut Google Maps einen Künslerbedarf geben. War aber nichts, dort wusste man nicht einmal, dass es ihn irgendwann gegeben hatte. Das Internet vergisst aber auch gar nichts. Auf dem Rückweg fanden wir dann eine Arztpraxis für Laufkundschaft, die mich aufnahm und die mir nach kurzer Untersuchung neben gutem Blutdruck und allgemein guter Gesundheit das Rezept ausstellte. Sophia bekam wenigstens Fieber gemessen (36). Bewaffnet mit dem Rezept bedurfte es dann nur noch 5 Apotheken auf dem Weg nach Süden, bis ich ein Streifchen mit genausovielen Pillen bekam, wie der gute Doktor sich ausgerechnet hatte; hier kauft man keine Päckchen, sondern einen pharmazeutischen Zuschnitt! Aber gut, habe nun also für die ersten 5 Tage Tabletten und ab Tag 3 (übermorgen) Ohrentropfen. Seitdem war ich dann auch vernünftig und bin nicht mehr mit dem Kopf unter Wasser. Weiter gen Süden fanden wir für Sophia dann auch den Beadmart, einen Künstlerbedarf für genau das was Sophia suchte. Ein erfolgreicher Ausflug durch eine sehr viel stiller gewordene Stadt.
Wie immer am Markttag gab es dann super frisches Essen in vielen Farben. Die Balinesen merken das Wegbrechen der Touristen massiv. Ganze Branchen liegen darnieder, aber wer geht denn jetzt noch zur Massage, am Ende in einen Laden, wo alles in einem Zimmer stattfindet? Oder shoppen… Die Bäuerin hatte mir ihre Telefonnummer gegeben, sie würden uns frisches Obst und Gemüse bringen, ich solle nur eine Whatsapp schicken. So hilft man sich. Auch der neue Cowork-Space ist verwaist. Diese beiden Bilder habe ich über den Tag gemacht.
Wie gesagt war heute dann der erste Tag, an dem wir nirgendwohin gingen, naja, ganz stimmt das nicht. Sophia und ich haben Bambusstöcke am Dschungelrand gesucht, die sie für ihre Handwerksarbeiten braucht, dann waren wir noch die Wäsche in der Reinigung holen. Das Ogo-Ogo-Fest ist abgesagt worden, zuviele Menschen zu nah beieinander. Sehr traurig für die Balinesen, da sie seit Monaten an den Dämonengestalten gearbeitet hatten. Heute gab es allerdings eine Prozession, vielleicht als Ersatz, ganz in Weiß diesmal. Würde mich nicht wundern, wenn sie für ein Vorbeigehen der Krise und ein Nichtausbrechen des Virus’ hier gebetet haben. Der Arzt sagte mir, dass in Ubud noch niemand krank sei. In Denpasar gäbe es 5 Fälle, die schon lange in der Krankenhaus-Quarantäne seien, in Gyanjar, der Kreisstadt zu der wir gehören, seien zwei Touristen im Spital.
Mein Problem ist, dass ich zuviel Zeitung lese und die Statistiken der WHO studiere, zudem noch Facebook verfolge, was wirklich voll ist von Ratlosigkeit, Ängsten und auch Falschmeldungen bezüglich der Krise, besonders bei den Nomaden (das sind so Leute wie wir). Viele sind geflohen, um in den USA, Spanien, Deutschland oder woanders direkt in eine Selbstquarantäne zu gehen um dann trotzdem noch im Epizentrum des Virus’ anzukommen. Deutschland mit 80 Mio Einwohnern hat 23.000 Fälle. Indonesien mit 260 Mio Einwohnern hat 300 Fälle. Viele unken, dass das Gesundheitssystem hier einem Ausbruch gar nicht gewachsen wäre. Aber ist es das in London, wo mit 5000 Fällen die Kliniken bereits am Baum sind, oder in Italien, oder in den USA, das sich gerade rasant zur Spitze der Fallzahlenliste bewegt, anders? In Nordamerika scheint es nur 6000 Klinken zu geben und insgesamt 1 Mio Intensivstationsbetten (für 350 Mio Menschen). Wir nehmen nicht Teil an den Online-Diskussionen, ob man hier bleibt oder zurückfliegt. Einerseits weil es nun eh nicht mehr geht, im schlimmsten Fall bis Ende Juni (aber da haben wir ja eh unsere Flüge), andererseits, weil es anderswo, wenn die Fallzahlen weiter steigen, auch nicht besser sein wird. Wir halten uns also raus, distanzieren uns sozial, die Yogazentren sind geschlossen. Sarah macht morgens mit uns auf dem Dach Yogaübungen, wofür wir sehr dankbar sind.
Die Arbeit geht weiter. Seit heute sind zwar in Italien alle nicht lebensnotwendigen Produktionen geschlossen, ich bin aber in stetem Kontakt mit Verona, wo alle nun von zuhause aus arbeiten. Gestern hatte ich ein Bewerbungsgespräch über Facetime, worin die junge russische Dame und ich irgendwann beide still wurden, da es um die Planung ging, wann wir sie brauchen und so… wer weiß schon was zu sagen? Ich lasse sie nun Ende März zur Probe ein paar Sachen machen, habe aber ein gutes Gefühl. Noch haben wir Arbeit. Allerdings kann keiner sagen, wie das weitergeht. Vielleicht bricht das auch bei uns total ein.
Um sich nicht in der Angst zu verfangen, habe ich letzte Woche ein neues Projekt gestartet: www.silentcities.space. Es geht darum, wie sich uns die Welt plötzlich zeigt und was wir aus dieser Erfahrung lernen. Ich lade Menschen ein, mir ein Bild dieser neuen Leere zu schicken (ohne ein Risiko einzugehen oder die Bestimmungen zu verletzen) und mir mitzuteilen, was sie angesichts dessen denken, spüren, wahrnehmen. Hier, was ich den Leuten zu dem Projekt sage:
Es ist erstaunlich, neben dem ganzen Frust bei der Lektüre meiner Zeitungen, dass es sehr viele Meldungen gibt, denen zufolge man bereits merkt, wie sich die Welt anscheinend langsam zu erholen beginnt, nur weil wir Menschen die Füße stillhalten. Selbst in Ubud, bei der Fahrt zu dem tollen Haus am Freitag, stellten wir fest, wie sauber und klar die Luft ist (und wie schnell man vorankommt). Mich erreichen Meldungen von Delphinen bei Venedig (neben offensichtlichem Unsinn, wie National Geographic berichtet, dass in italienischen Städten Wildschweine, in Tokio Hirsche und in Bangkok Affen die Straßenszenen bestimmen) sowie vom eventuellen Erreichen der Pariser Klimaziele dank Corona. Selbst wenn man den Flighradar anschaltet auf dem iPhone, dann sind doch weniger Flugzeuge in der Luft als üblich. Wobei ich finde, dass es immer noch zuviele sind. Und glücklicherweise ist der unsäglichen Branche der Kreuzfahrten ein Ende gesetzt. HOFFENTLICH BLEIBT DAS SO. Ich hoffe, dass es Euch allen gut geht, und dass Ihr mit der Neuen Häuslichkeit gut klarkommt. Macht Euch bitte keine Sorgen um uns. Viele schreiben, dass der Virus es in den Tropen schwerer hat, sich zu voller Performance aufzuschwingen, wegen der 100 Prozent Luftfeuchtigkeit und der Hitze. Anscheinend bremst ihn das, so das stimmt. Aber das Internet ist voller Unsinn und falschen Tatsachen, man weiß gar nicht, was richtig ist, was falsch. Es erfüllt mich mit Sorge, wie bereits Lobbyisten der Pharma und diverser Branchen die Politiker umgarnen, da momentan keiner so Recht Übersicht hat und sicher vieles durchgewinkt wird, das Geld locker sitzt, weil die Not größer wird. Oder wie manche Politiker, zB Netanyahu die Gunst der Stunde nutzen, um relativ unbeachtet vom weltweiten Spotlight ihre Politik der Ausgrenzung und Aneignung durchziehen. Oder zu lesen, wie Senatoren in Nordamerika Anfang Februar Aktien verkauft haben und gleichzeitig noch auf Fox schwadronierten, dass es keine Gefahr gebe, der Trumpland nicht gewachsen wäre.
ich habe wirklich die Hoffnung, und wir sprechen hier oft darüber, dass diese schreckliche Situation den Menschen die Pause gibt und den Raum zur Besinnung, dass sie sich Gedanken machen über die Art, wie sie die Welt beleben. Denn da gibt es sicher eine Menge Dinge zu ändern. Hoffen wir fürs Beste. Ihr macht es mal bitte noch besser als zuletzt. Danke für die vielen Rückmeldungen auf meine eMail, in der ich um Nachrichten zu Eurer Lage gebeten habe. Gleiches gilt noch, da die DInge sich schnell verändern. Wir hier freuen uns am anderen Ende der Welt über jede noch so kleine Nachricht darüber, wie es Euch geht, wie Ihr eure Tage verbringt und wie Ihr das alles wahrnehmt. War es bislang gerecht, dass wir, die wir weggefahren sind, Euch, die Ihr dort geblieben seid, Bericht erstatten, so hat sich das nun geändert: Nicht mehr wir allein leben ein Leben, das unkonventionell ist, anders, voller neuer Elemente, Eindrücke und Erfahrungen… Ihr tut dies nun auch. Also lasst uns davon wissen. Ganz liebe Grüße, sempaj jumpa lagi, Niklas