Niemandsland
Eigentlich sollte es diesen Blick nicht geben; nicht nur, dass alles kaputt und wie eine Mondlandschaft aussieht, hier sollte eigentlich einer der letzten großen europäischen Mischwälder dazwischenstehen, der Hambacher Forst. 5500 Hektar waren es, als die RWE 1978 den Wald kaufte, und es bis heute schaffte, ihn bis auf ein Zehntel seiner ursprünglichen Größe abzuholzen, um genau hier, im Braunkohlerevier ein ganzes DRITTEL der deutschen energiebedingten CO2-Emissionen herzustellen. Ich kann das alles nicht fassen. Die Zahlen sind von einer CO2 Bilanz, die der BUND bereitstellt (—> Link).
Wir sind am Montag früh von Hastings aus nach Dover gefahren, um gegen 11 Uhr das Schiff zu nehmen. Mit dem Geist Frankreichs (Spirit of France) waren wir hierhergekommen, mit der Spirit of England sollte es zurückgehen. Die Überfahrt brachte uns wieder nach Europa, nach Hause quasi — wenngleich diese ganze Weltkriegsgegend Dünnkirchen bis Aachen uns nicht wirklich gut gefallen hat. Teilweise erschienen uns die Pausenplätze entlang der Schnellstraßen wie Landschaften aus US amerikanischen Filmen die nach einer Nuklearkatastrophe spielen. Kaputt, überwachsen, leer, nichts funktioniert, wie z. B. bei der Raststätte hier; Klos zugeschraubt, Fliesen abgesprungen, grasüberwuchert:
Es ging dann gleich nach Flandern, Richtung Antwerpen. Kurz vor Antwerpen furhren wir allerdings ab, denn wir waren ja bereits seit 6 Uhr auf den Beinen, Van abbauen, Fahrt nach Dover etc., sodass wir nicht mehr sehr viel weiter fahren wollten am Montag. Also bogen wir bei Sint Niklaas ab und landeten in Temse an der Schelde auf einem Stellplatz, direkt neben einem sicher Millionen schweren Van der Marke Tuscany 36 QM XTE mit vier ausfahrbaren Erkern und zwei zufriedenen Belgiern sowie anderen Kollegen aus der Zunft des modern fahrenden Volkes. Dieser Stellplatz war das Modell vollautomatisiert, man schmeiße 2 € fürs reine Stehen und Entsorgen oder 8 € für Stehen, Entsorgen und Strom in einen Parkautomaten und mache es sich gemütlich. Wir staunten, wie viele Belgier in ihrem eigenen kleinen Land mit Schiffen wie dem TUSCANY auf solchen Plätzen herumstehen und sich im Urlaub wähnen. Da man ja vermutlich auf allen Achsen innerhalb von 2 bis 3 Stunden durch Belgien durchfahren kann (Brügge-Luxemburg z.B. ca 3 Stunden als Maximum), glauben wir nicht, dass die Herrschaften gerade von einer Reise kommen oder zu einer aufbrechen — da man ja eben so schnell aus dem Land draußen ist…
Weiter ging es Richtung Aachen und heim in die BRD. Hier wartete bei Kerpen ein neuer Wassertankdeckel auf uns, der alte liegt irgendwo in Yorkshire, und wir haben unseren Frischwassertank täglich mit Panzerklebeband verschlossen die letzten 1500 km. Da wir schon einmal in Kerpen waren, lag es nahe, sich dem Hambi zuzuwenden, dessen Ostseitenrest im Bereich Kerpen liegt und das Zentrum der Besatzungszone ausmacht. Offenbar wollte RWE hier zuschlagen. Vor ca einem Jahr kam es ja dann zu einer Anhörung, in der dem gefräßigen Konzern auf 2 Jahre untersagt wurde, auf Kosten dieses Waldes weiter den Klimakiller Nummer 1 (Braunkohle zu schürfen). Alles scheint nur aufgeschoben — ich weiß auch nicht, ob es eine Rolle spielt. Der Wald scheint eh am Eingehen zu sein. Selten haben wir einen so ausgetrockneten Waldboden gesehen und alle Nadelbäume in dem Mischwald erinnerten an die Bilder zum Thema Saurer Regen, die meine Schulzeit begleiteten. Es folgt dann noch ein kleiner Bilderbogen, der die Barrikaden im Wald bei Kerpen zeigt, wo immer noch die idealistischen Besetzer in ihren Baumhäusern leben — in einem sterbenden Wald. Am Waldrand eine stinkende Kloake: die RWA leitet hier Schürfungsabwässer in einen Weiher, auf dem dreckverklebte Enten schwimmen. Das alles ist ein Bild des Jammers — für die Energiekonzerne haben wir nur Verachtung, für die Besetzer nur Bewunderung und dennoch ist das eine reine Verzweiflungstat und der Wald längst verloren.
Es ging dann aber noch weiter. Eine Sache ist ja, den Wald zu schänden — der Konzern macht aber auch vor den Menschen nicht Halt. Nochmal: Wir reden von einer Energieform, von der wirklich jeder weiß, dass sie ein totales Auslaufmodell ist, seit langem, und dennoch verhält sich RWE wie die Axt im Walde. Der Ort Morschenich ist zur Geisterstadt geworden. Erst konnten wir es gar nicht glauben, als wir die ersten zugenagelten Fenster sahen — als wir dann aber realisierten, dass wirklich jede Tür und jedes Fenster mit Holzplatten verschlossen war und insgesamt vielleicht gerade mal 3 Autos an der Straße standen, vermutlich noch mit Räumungen beschäftigt, wurde klar, dass hier neben einem sterbenden Wald eine sterbende Stadt liegt:
Wir sind ganz schön verzagt hier weggefahren, und auf dem Weg nach Bonn kamen wir auch noch an weiteren Geisterstraßen, die ins Niemandsland führen, vorbei sowie Geisterhäusern. NRW macht hier wirklich einen ganz beklagenswerten Eindruck. Bonn empfing uns mit ein wenig Sonne und einer fröhlichen Sophia, mit der wir durch die Stadt spazierten und schließlich beim Japaner einkehrten. Das Auto stellten wir in der Altstadt ganz frech in ihre Straße gegenüber ihrer Wohnung und haben da dann auch geschlafen, zweimal. Gestern hat Sarah mit Sophia Yoga gemacht, ich habe im Van ein bisschen gearbeitet, gegen halb 11 sind wir in die Sieg-Aue gefahren, um mit dem Rocco zu laufen. Während Sophia und ich spazierten, konnte Sarah ihre Arbeit machen und gegen halb eins waren wir dann in Porz bei meiner Patentante, die uns mit einem wunderbaren Mittagessen empfing.
Abschließend noch ein Blick auf die Sieg-Auen zwischen Bonn und Köln. Ihr machts mal gut und passt auf Euch auf. Alles gute, liebe Grüße, Niklas
PS: Spät nachts kam noch Grischa von einer aufregenden Reise nach China zurück. Er war dort mit einer Reihe Freunden, um einem anderen Freund bei der Heirat sein Geleit zu geben. ganz angetan von China und der Tatsache, dass es so anders war als in unseren Medien beschrieben, gab er uns sehr interessante Berichte. Und er hat jetzt einen Schnurrbart… Wir hatten wenig aber eine gute Zeit mit den beiden, Grischa und Sophia, und haben beide nach Südfrankreich eingeladen, wo wir ab Samstag für ein paar Wochen ein Haus gemietet haben. Wir müssen mal ein wenig zur Ruhe kommen, wie bereits berichtet, das wird in Cazouls d’Herault bestimmt gut klappen.