Feurige Erlebnisse
In Deutschland hat man es sicher besser mitgekriegt als hier. Aber mittlerweile wissen wir es auch: Am Sonntag morgen ist der Vulkan ausgebrochen. Der Agung ist das Heiligtum Balis, er liegt etwa 50-60 Kilometer von uns entfernt nordöstlich von Ubud. Selbst wenn von hier eine relativ gleichmäßig ansteigende Landstraße dorthin führt, heißt das aber nicht, dass im Falle des Austritts von Magma alles hierher fließt. Erfahrungsgemäß entlädt er sich eher nach Norden hin in Richtung des ca 1500 Meter niedrigeren Mount Batur.
Heute früh, nach einer aufregenden Nacht (darauf komme ich noch) musste ich meinen Roller ziemlich intensiv abstauben. Das Sitzpolster war ganz hellgrau eingestäubt. Ich wusste ja noch nichts vom Vulkan, deshalb dachte ich erst, dass es allgemein jetzt viel trockener wird, da der Regen vorbei ist, und jetzt viel mehr als die letzten beiden Monate der Dreck von hunderten von Baustellen und dem Mopedverkehr sichtbar ist. Aber es war natürlich die Asche vom Agung. Über den Tag hat er bis vor zwei Stunden auch wieder heftig gebrüllt und gekracht. Gesehen habe ich nichts mehr, aber die Asche wird uns noch eine Weile erhalten bleiben. Man bemerkt sie überall, auf dem Computer, der Ablage, Küche. Überall ist ständig eine Schicht Staub.
Die Nacht war aufregend, weil wir wieder mal Schlangenbesuch hatten. Allerdings bestand diesmal kein Kobra-Verdacht, sondern es war relativ klar, dass es sich um die Hundezahln-Katzennatter handelte, besser gesagt: drei Exemplare davon in nächtlicher Jagd wieder einmal verrückt nach den uns bereits lieb gewordenen Eichhörnchen, die direkt zwischen Papaya, Frangipani und Kokospalme wohnen und tagein-tagaus die Kokosnüsse benagen, von denen bald täglich eine in unseren Garten herunterkracht.
Die Schlangen waren jung und hatten schlanke Köpfe. Sie waren ca 2 Meter lang, schwarz-weiß geringelt am Schwanzende. Ungefährlich für uns — jedoch fühlt man sich schon immer etwas komisch, wenn Schlangen in der Nähe sind, unangenehme Gesellen, finde ich. Erstaunlich war, wie sie sich bis über einen Meter weit haben strecken können, ich hoffe, man sieht das auf den Bildern. Uns haben sie jedenfalls ca 1 Stunde lang unterhalten, weil wir sie wirklich intensiv beobachtet haben; nicht allein aus Neugier, sondern in der Hauptsache, um genau zu wissen, wenn sie wirklich weg sind.
Heute früh musste ich zu Abraham, dem Apple-Doktor, da mich am Freitag beim Einkaufen ein kleines Unglück ereilt hatte. Eine Dosa Limonade, die ich zusammen mit dem Einkauf in den Rucksack gesteckt hatte, war von irgendeinem Spaßvogel mit einem Loch versehen worden, oben. Daheim angekommen, war sie vollends ausgelaufen, Computer, Backupplatte, Kamera, alles war naß und klebrig. Heute musste ich also zum Doktor, nachdem ich schon das ganze Wochenende lang mit rotem Reis und Sonnenlicht und viel Papier alles mögliche versucht hatte. Aber man konnte nichts machen. Die Kamera hatte ich bereits versorgt, die hat überlebt, wie man hoffentlich hier sieht. Die Festplatte wird nun aufwändig mit Ultraschall gereinigt, der Bildschirm am Laptop ist leider nun am linken unteren Eck für alle Zeiten gezeichnet. Ich sehe schon noch was, aber die Limo hat natürlich deutliche interne Spuren hinterlassen.
Auf der Fahrt durch die ungewöhnlich ruhige Stadt habe ich gesehen, wie emsig die Leute an den Vorbereitungen für die große feierliche Verbrennung gearbeitet haben. Schon seit Tagen steht der monströse Turm, der mit seinen vielen Stockwerken die Wichtigkeit der Verstorbenen anzeigt, neben dem Palast. Zudem wurden zwei Kühe (oder Stiere) gebaut. Also habe ich mich bei den Leuten vom Hub abgemeldet und bin auf die Zeremonie gegangen.
Erstmal musste ich wieder einen Sarong kaufen. Ohne den geht es einfach nicht. Überall sind Verkäufer, die Berge von Tüchern und Kisten mit Räucherstäbchen auf dem Kopf balancieren. Sie sind sehr rührig und versuchen, sogar Leuten, die schon einen Sarong anhaben, noch einen zu verkaufen, die Schlitzohren. Eine Dame wollte doch tatsächlich einer Amerikanerin weismachen, dass sie heute 2 Sarongs übereinander tragen müsse, weil die Verstorbenen so wichtig waren.
Was wir in den Bildern nicht sehen, ist die Todeszeremonie. Die teilweise schon länger Verstorbenen werden rituell geweckt und ins Heim der Familie überführt, wo diese dann Abschied nimmt. Je nach Kaste wird der Leichnam dann in unterschiedlichen Behältnissen zum Ort der Feuerbestattung getragen, dabei machen die Träger allerhand komische Bewegungen und viel misstönende Laute, um wieder einmal die bösen Geister zu verwirren und abzulenken — sie will man nicht dabeihaben.
Die wirklich wichtigen Verstorbenen der Königskaste sind bereits in dem prächtigen Turm und werden darin zur Verbrennungsstätte getragen, teilweise von 100 Männern, die eben auch rennen und kreischen, Witze machen und johlen, eben wegen der bösen Geister. Die Kühe, Stiere und andere Wesen werden ebenfalls zum Verbrennungsort getragen. Übrigens sind die Touristen auf der wilden Jagd, man stelle sich das mal vor, 50 Männer tragen ein solches Ungetüm und rennen durch die Hauptstraße, durchaus eingeladen, mitzurennen, oder auch nur dumm herumzustehen oder Faxen zu machen, laut zu sein, wild zu fotografieren, eben alles, was Touristen so tun. Beim Transport der Leihname zum finalen Verbennungsort hilft das nämlich auch den Toten.
Die Verbrennung eines Leichnams ist für die Hindus hier mit der wichtigste Moment im Leben. Es ist unbedingt notwendig, dass alles richtig gemacht wird. Dazu gehören auch das wilde Rumrennen und die im Weg stehenden Touristen. Selbst am Verbrennungsort werden der Turm und die anderen Leichenbehältnisse noch in Kreisen herumgetragen. Nun hat man aber schon die bösen Geister hinter sich gelassen und ist in einem geheiligten Raum angekommen; jetzt hilft dieselbe Taktik wie zuvor, diesmal die Toten selbst zu verwirren — Ziel des Ganzen ist, dass sie auf keinen Fall den Weg zu ihren Wirkungsorten zurückfinden. Denn das Rad der Wiedergeburt soll weitergehen, und es muss vermieden werden, dass die Seelen an alten Orten hängenbleiben und im schlimmsten Fall als Gespenster herumirren. Für das Folgende habe ich leider kein Bild; es war schlichtweg zu heiß und dauerte zu lange. Hier also, was wir verpassen: Die prächtigen Tierstatuen spielen nun die Hauptrolle; ein schwarzer Stier oder eine schwarze Kuh (Stier für einen männlichen, Kuh für eine weibliche Tote aus der Königskaste) werden abgestellt und unter dem Schwanz hinten wird eine Klappe geöffnet. Die hochwohlgeborenen Leichname werden aus den Kammern des Turms über die Bambusrutsche langsam heruntergelassen (in einem Leintuch) und in das Hinterteil des Tieres eingeschoben — dann wird das Tier angezündet.
Die Farbe weist hier auf den Stand hin, schwarz für die Königsfamilie, weiß für andere Brahmanen. Dazu wird viel gegessen, überall liegen Speisen, die Menge ist groß und hungrig. Es gibt Flöten-Prozessionen und Gamelan-Orchester, dazu viel Gesang. Es ging den ganzen Tag lang weiter, hier auf dem Hügel haben wir das bis in den Abend gehört, unterbrochen nur von den krachenden Eruptionen des guten alten Agungs. Und gerade eben (es ist 20:30), als Sarah und ich aus der Stadt kamen, wo wir noch einen japanischen Happen zu uns genommen hatten, kamen wir auf einem Schleichweg um den Affenwald herum (den, den ich neulich gelaufen war) an einer abendlichen Abschlussprozession mit vielen Statuen, Drachen, langen Stangen mit goldenen Spitzen vorbei. Viele Kinder, Leute allen Alters, immer noch ausgelassen an diesem spürbar fröhlichen Tag, ganz dem Aufbruch der Verstorbenen in ein neues Abenteuer eines neuen Lebens mit hoffentlich gutem Karma gewidmet. Faszinierend.
Machts gut und passt auf Euch auf, alles Gute. Niklas