Yogesh & Wayan

Yogesh (links) und Wayan (rechts)

Yogesh (links) und Wayan (rechts)

Heute früh hatte ich das Vergnügen, mit Yogesh und Wayan, zwei „house keepern“ unseres schönen Zuhauses hier in Ubud, ins Gespräch zu kommen. Sie hielten es für eine witzige Idee, dass ich ein gespieltes Interview mit ihnen führen wollte und wir hatten eine Menge Spaß. Aber das war vorher schon klar: Jedes Mal, wenn ich die beiden erlebe, dann werde ich Zeuge eines Wasserfalls von ausgelassenem Gegiggel und nicht endenden Palavern, unter denen sich die Arbeit wie von selbst und ohne übertriebenen Lebensernst erledigt.

Yogesh (22), verheiratet und Mutter — „Wir nennen es MBA, married by accident“, bei uns würde man sagen „Hochzeit mit Rückenwind“— ist die quirligere, lustigere, ihr Gelächter eilt ihr zumeist voraus; Wayan (31), ebenfalls verheiratet und Mutter, ist ein wenig ruhiger. Im Gespräch gewinne ich bald den Eindruck, dass die knapp 10 Jahre, die zwischen den beiden liegen, dabei durchaus eine Rolle spielen. Aber der Reihe nach:

Zuerst habe ich die beiden nach dem Kindsein auf Bali gefragt. Wie erwartet, findet dies vielmehr innerhalb der Großfamilien statt, inmitten der Geschwister und Verwandten, Großeltern, da die Familie auf den Familienzusammenhang angewiesen ist, um zu funktionieren. Insbesondere wegen der zeitaufwändigen Zeremonien und der Pflege der Heimtempel, die sie Sangha nennen. Nichts desto trotz gibt es auf Bali auch Spielgruppen und Kindergärten. Das Schulsystem ist in der Hand der Regierung des moslemischen Staats Indonesien. Es sieht eine 6-jährige Grundschule, 3 Jahre Mittelschule und 3 Jahre Highschool vor, für alle und in gemischten Klassen. Im Rahmen der Highschool findet für beide Geschlechter auch das SMK innerhalb von 6 Monaten statt, ein berufsschulischer Einschub mit Praxis-Trainings in den Bereichen Hauswirtschaft, Automobiltechnik und Gastronomie, jeder Schüler muss sich ein Fach aussuchen.

Da die meisten Balinesen tendentiell eher arm sind, was die Finanzen angeht, ein Arbeiter auf einem Reisfeld erhält € 2,75/Tag, ein Handwerker im Hausbau ca € 5/Tag, eine Restaurantbedienung ca € 60 €/Monat, ein Lehrer ca 240 €/Monat und ein Polizist, je nach Stufe bis zu € 500/Monat, so schaffen es die wenigstens auf die Universität, von denen es eine bei Jimbaran und eine bei Singaraja gibt. Eine echte Option für Balinesen, die gerade von westlichen Firmen stark nachgefragt wird, ist die Ausbildung in Hospitality (Gastfreundschaft), die meiner Meinung nach sehr gut zum balinesischen Wesen passt. Man kann das an der Uni studieren, aber auch die machtvollen westlichen und asiatischen Kreuzfahrtunternehmen haben mittlerweile eigene Schulen auf der Insel. Für alle anderen heißt es aber nach der Schule zumeist arbeiten. Yogesh hatte das dritte Highschooljahr verpasst (wegen Rückenwind), konnte es aber nach der Geburt nachmachen. Sodann ging sie in einen Job und verdient für die Familie und sich etwas dazu.

Wayan

In den Themen der Teenagerzeit unterscheiden sich die beiden Frauen: Wayan ist noch ohne Handy oder Internet aufgewachsen, sie sagt mir, sie kannte das alles nicht, mit Jungs rummachen oder ausgehen, Geld wäre dazu auch nie da gewesen. Zudem sei sie viel zu beschäftigt damit gewesen, nach der Schule und vor dem Heimweg noch sinnvolle Handwerkskurse zu besuchen, und daheim angekommen hatten Schularbeit, Hausarbeit, Geschwister, Tempelpflege und die Küche auf sie gewartet. Wenn einmal zufällig ein Junge gekommen wäre, und weit davon entfernt überhaupt daran zu denken, dass so Teenagersachen stattfinden hätten können, so wäre der Junge ganz links gesessen, neben ihm ihr Vater, ihre Mutter, Angehörige und soweit weg wie nur eben möglich dann sie selbst. Keine Chance. Sie sähe aber heute auch, z.B. bei Yogesh, mit der sie sich viel unterhält, dass das alles anders geworden ist. Die Jugendlichen sind vernetzt, sie sehen viele Sachen, die vorher unsichtbar waren, hören über Dinge, die man miteinander machen kann; die Einfachheit, wie heute Verabredungen getroffen werden, der schnelle Austausch ohne Zeugen oder mithörende Eltern, all das hat das Leben der jungen Leute verändert. Yogesh beklagt, ganz freimütig, das Thema Sex ansprechend, dass man in der Schule gar nichts darüber lernt, z.B. wie man es richtig macht, meint sie, damit eben nicht schon während der Schulzeit passiert, was ihr passiert ist. Beide halten 50 Prozent der balinesischen jungen Leute immer noch für unaufgeklärt, und es gibt sehr viele MBA’s, in den Familien ist das Thema Sex tabu.

Die Familien leben ihre Traditionen. Für kaum eine Lebenssituation gibt es keine Zeremonie. Kommt z.B. ein Kind auf die Welt, so gilt es Tu Tug Kambuhan zu halten, das 42 Tage dauert, vorher darf das Kind die Erde nicht berühren; sehr wichtig sind die ersten Milchzähne, da gibt es einen ersten Initiationsritus, der seine Fortsetzung während des Übergangs zum Erwachsenenalter findet, wenn in einer großen Feier vom Hohepriester die Eckzähne als Abschied vom Animalischen in dem jungen Menschen abgefeilt werden; es gibt Zeremonien, die alle 15 Tage, alle 3 Monate oder alle 6 Monate stattfinden, täglich muss einmal geopfert werden, an bestimmten Stellen sogar 3-mal, dafür müssen heiliges Wasser, frische Blumen und Weihrauch besorgt werden, das Gebet findet um 6, um 12 und um 18 Uhr statt und dauert ca 10 Minuten. Man feiert Neumond sowie Vollmond. Vor der Heirat finden fast all diese Feiern im Elternhaus statt, sobald eine Frau heiratet, wechselt sie die Familie allerdings und gehört von da an zur Familie des Mannes. Sie wollten wissen, wie das bei uns ist, und ich erklärte das ein wenig. Sie konnten es sich kaum vorstellen, dass man seine eigene Familie gründet und seine Eltern nur noch besucht. Beide sind ins Familienleben ihrer neuen Familien so stark einbezogen mit zusätzlichen Arbeiten und Aufgaben, dass das „auf Besuch“ nicht gehen würde. Das Elternhaus sehen die Balinesinnen erst zur Galungan wieder, alle 6 Monate. Für Wayan heißt das, dass sie für ganze 4 Wochen nach Lombok zu ihren Eltern fahren muss, um durch die Bank an den Vorbereitungen und Riten teilzunehmen, es wird geputzt, geschmückt, geschlachtet und zelebriert.

An dieser Stelle kam ein wenig Sehnsucht bei beiden auf. Sie erklärten mir, dass es schon auch klasse sei, dass man jetzt whatsapp hätte und Instagram, alles quasi in der Hosentasche; allein die Erinnerung an die Aufregung in Erwartung der großen Zeremonien, die früher insbesondere für Wayan jeweils die Highlights des Jahres abgegeben hatten, die fehlten jetzt eher. Es gäbe sie zwar noch, aber das ganze Leben sei nun so voller Aufregung und Atemlosigkeit, und es passiere dauernd etwas, was einen überrasche und man erlebe soviel mehr, da habe das Leben sich irgendwie „begradigt“, ist flacher geworden.

Yogesh

Wir kommen auf die Geschlechter: Zwischen Männern und Frauen gibt es große Unterschiede, erklären sie mir. Männer dürfen eigentlich fast alles, was rechtens ist. Sie feiern, sie trinken, rauchen, sind nur spärlich Rechenschaft schuldig. Die Frauen stehen dagegen unter starker Beobachtung. Trinken und Rauchen ist ganz schlecht, Tätowierungen und am Ende noch das Färben des Haars geradezu anstößig. Yogesh lacht, sie hat sich die Spitzen hell gefärbt, und wenn sie nun in der Öffentlichkeit ist, z.B. im Tempel ihres Stadtteils, dann wird sie schon angestarrt und sie merkt dabei, dass die Leute sie verurteilen. „They see a naughty girl!“ — aber sie kümmert das nicht, „sollen sie doch reden, mich beurteilen, sie sehen nur das Draußen, und ich allein weiß, was drin ist!“ Sie ist selbstbewusst und zielstrebig, sie ist auch bereits am Sparen und hat eine klare Vorstellung ihres Weges: „Verheirat und mit 25 kriegst du keinen Job mehr, du bist zu alt und privat viel zu beschäftigt, um noch als waitress zu arbeiten.“, also spart sie, denn sie braucht 10 Millionen Rupien, ca 600 €, um sich in einen Franchise Balinese Fried Chicken-System einzukaufen, das auf der Insel in Konkurrenz zu KFC (Kentucky Fried Chicken) steht. Vermutlich muss sie alle Produkte beim Franchisegeber einkaufen, sowie Marketing und weiteren Schabernack, die Miete reinwirtschaften, aber dies sei, wenn sie nicht soviel Glück hätte wie Wayan, die ja mit 31 noch waitress sei, die einzige Möglichkeit für sie, an den Familieneinnahmen beizutragen. „Frauen haben einfach soviele Pflichten hier.“ — Da spare ich mir die Frage hinsichtlich Träumen und ob sie die Welt sehen wollen einfach mal, wir waren eh zuvor beim Thema Balinesen auf Kreuzfahrtschiffen schon darauf zu sprechen gekommen. Für die Leute hier ist das nichts, rumreisen, weggehen, die Insel und Familie verlassen — für die Arbeit gerade mal „ok“, für Jungs halt. Frauen sind unentbehrlich zuhause.

Ich interessiere mich dafür, was sie über Touristen denken und sie lachen, ist ja auch viel verlangt, denn ich sitze ja dabei. Aber sie helfen mir aus der Patsche: „Ja, du gehst ja jeden Tag zur Arbeit, was bist du denn für ein Tourist?!“ — aber ernster: Es gibt eben gute und schlechte, meinen sie; wie immer. Was ihnen nicht gefällt, sind die Touristen, Asiaten und Westler, die auf der Bisma die Grundstücke wegkaufen um Geschäfte zu machen. Und die dabei diese vor ein paar jahren noch wunderschöne Oase mit Reisfeldern und Ausblicken in eine schlammige Großbaustelle verwandelt haben. Sie sagen, sie seien auch nicht so happy mit den Backpackern, also den Travellern, die mit sehr wenigen Mitteln reisen. Grund dafür seien ein paar komische Erfahrungen, die sie gemacht hätten: „Weiß du, in Bali sagt man auch, der Gast ist nicht immer der König!“, und sie berichten, wie sie es mehrfach erlebt hätten, dass Leute fürstlich bedient werden wollen und eine komische Attitüde haben, die in ihrem Leben zuhause wahrscheinlich einen ähnlichen Job machen, wie die beiden hier: „Bloß weil’s hier billiger ist, macht einen das noch nicht zum Supermann!“. Sie denken, die Regierung sollte ein wenig besser hinschauen, wer Tourist sein darf, denn die Insel geht ihnen beiden über alles. „Man sieht die Natur immer weniger, noch vor kurzer Zeit waren hier überall Reisfelder und viel mehr Bäume. Für die Touristen wird alles vollgebaut.“ Wenigstens gäbe es jetzt erste Gesetze gegen den Plastikmüll, die Tütenflut, Wasserflaschen und allgemein den Umgang mit dem Müll. „Da müssen wir halt noch viel lernen“, sagen sie. Die Bewegung ist da, aber das ist alles noch viel zu wenig. Bevor die beiden mir noch ihre Lieblingsgericht aus der balinesischen Küche geben, sind sie noch ein bisschen wehmütig: „Das erste, was du in der Schule lernst, ist das Tri Hita Karama“, das dreiteilige balinesische Grundgesetz, Frieden mit Gott, den Menschen und der Natur zu halten, „die Natur fällt immer weiter hinten runter!“

Aber schon sind sie wieder am Kichern, weil ich sie um Fotos gebeten habe, und während ich sie mache, schwelgen sie in ihren Lieblingsgerichten. Wayan aus Lombok schwört auf Pleching Kangung, gebratenen Wasserspinat in einer scharfen Sauce, wie sie das von zuhause kennt, Yogesh mag fast alles Gebratene, solange Sambal Matah, eine eher trockene balinesische Chilisauce mit ein wenig vom typischen Limettensaft verfeinert, daran ist. Und das beste Nasi Campur gibt’s bei Ibu Manku hinter der Dreikreuzung.

„Terima Kasih“, bedanke ich mich, „Sama Sama“ — gleichfalls und „Selamat Tinggal“, auf Wiedersehen.

Und schon wieder Unsinn im Kopf