Angekommen – und schon wieder fort!
Nun habe ich Euch lange warten lassen. Längst sind wir in Santiago de Compostela angekommen und haben den Camino beendet, sind von Eva und Oli abgeholt worden, haben uns in Vigo in Olis Wohnung breitgemacht und den feuchten galizischen November ausgekostet. Zuletzt ging es fix auf dem Camino, da das Ziel immer klarer vor Augen lag. Zur letzten Etappe von O Pedrouzas nach Santiago hatten wir ein Zimmer in einer Pension genommen, da es ansonsten einfach keine Möglichkeit zum Duschen mehr gab und wir nicht frustriert in der klammen Umgebung des Vans in feuchte Klamotten in den letzten Wandertag starten wollten, den einzigen, den wir gemeinsam gemacht haben (und den einzigen mit echtem Gepäck). Den Van haben wir in dem kleinen galizischen Ort an der Straße stehen lassen, alle Computer und Kameras und Wertsachen in den Rucksack gepackt und sind vor zwei Wochen mit Rocco aufgebrochen, die letzten 20 km zu laufen. Wieder kamen wir durch schöne Korkeichenwälder, gemischt mit Eukalyptus, an grasendem Vieh vorbei, über Stock und Stein, Hügel und durch Täler hindurch, bis wir endlich den Rand von Santiago, etwas später die Innenstadt, wieder etwas später die Altstadt und dann durch einen kleinen Torbogen entlang der Kathedrale den Platz vor derselben erreichten. Wie durch ein Wunder betraten wir diesen Platz zeitgleich mit Oli und Eva, wenngleich ich am Morgen eine Nachricht geschrieben hatte, wann wir wohl ankommen, Oli diese aber nicht gelesen hatte – aber so ist es eben: Pläne sind Pläne, und manchmal geht einer auf, ohne dass alle wussten, dass es ihn gab.
Angekommen In Vigo haben wir erstmal den Van Van sein lassen, glücklicherweise konnten wir ihn auf dem Grundstück des TÜVs, wo Eva arbeitet, sicher stehen lassen. Wir haben also einfach unsere Nahrungsmittel, Wäsche und die Bettdecken rausgenommen und das Auto sich selbst überlassen, allerdings nicht zum Austrocknen; wenn es auf dem Jakobsweg geregnet hat, dann war das kaum vergleichbar, wie konstant und aussichtslos es in Vigo weitergeregnet hat. Aber das konnte uns wetterharte Wander-Kleingruppe natürlich nicht weiter beeindrucken, zudem war der Empfang in Vigo so herzlich und wir haben Menschen wiedergetroffen, die wir nur selten sehen. In der Ferne zwar, und doch daheim, so könnte man es beschreiben. Wir hatten wunderbare Tage, Abende und Ausflüge, letzter in den kurzen Momenten, in denen sich die Sonne wohl mal nach Galizien verirrt hatte. Mein Bruder und Eva sind wie immer großartige Gastgeber; Oli, der gefühlt zum ersten Mal so richtig viel Zeit hatte, obwohl eingebunden in diverse Prozesse des Alltags, aber die Selbständigkeit hat eben diesen positiven Effekt. Eva hatte Spätschicht, insofern hatten wir gemeinsame frugale Mittagessen, Nachmittagsausflüge mit Oli, und abends wurde zünftig gekocht. Zum ersten Mal in 20 Jahren hatte ich Gelegenheit, das nahe Hinterland von Vigo auf einem schönen Spaziergang zu sehen, wo sich die ferne Küste abzeichnet, die waldigen Hänge (Eukalyptus) und die welligen Hügel. Wir haben La Val besucht, die schöne Bodega in Salvaterra an der portugiesischen Grenze, die ca 300.000 Flaschen Albariño produziert und frischen Wein aus den Stahlfässern gekostet. Parallel wurde mal wieder der Van überholt (wieder einmal der Anlasser), und wir haben unsere nächste Station klargemacht (Portugal, Algarve, bei Lagos).
Neulich Abend hatten wir Evas Lieblingsessen, Percebes. Wirklich interessant, offenbar ist das ein nobles Essen, vornehmlich wird es bei noblen Events wie ehrenwerten Hochzeiten und dergleichen serviert. Wir waren gespannt. Letzten Samstag Morgen sind wir mitt Oli an den Hafen gefahren und haben in einer Art Hafengarage eine Kiste davon ergattert. Als sie ausgepackt waren, dachten Sarah und ich eher an ein Relikt aus ganz alten Zeiten, sie wirkten wie Saurierkrallen oder Körperteile von Drachen, aber nein: Die Percebes sind Muscheln, die in sehr gefährliche Prozeduren in der Brandung mit Messern vom blanken Felsen geschnitten werden. Sie werden dann kurz gekocht, man serviert sie auf einer Platte und bricht sie am Ende auf um das Fleisch mit den Zähnen rauszuziehen. Schaut mal die Bilder an. Ich habe gerade, als ich unsicher den Namen der Muschel gegoogelt habe, einen Artikel über die “hässlichste Muschel der Welt” gelesen, aber falsch: sie sind nicht hässlich, sie sind spektakulär (und ein wenig archaisch, https://www.vice.com/de/article/pgxkqg/fur-die-hasslichste-delikatesse-der-welt-riskieren-fischer-ihr-leben-942):
Letztes Wochenende in Vigo war dann doppelt und dreifach ein Highlight, denn erstens hat Manuel, Olis Ex-Schwiegervater wieder einmal einen uralten Rioja aus dem Hut gezaubert, wir hatten die Percebes gehabt, aber darüberhinaus hat Vigo hat einen überambitionierten Bürgermeistern, der sich seit der letzten Saison vorgenommen hatte, in Sachen Weihnachtsbeleuchtung nicht mit Madrid, Barcelona oder Sevilla zu konkurrieren, sondern mit Paris, London und New York! Samstag abends also, die Stadt war brechend voll, alle Hotels ausgebucht, fast war es unmöglich. noch mit dem Hund Gassi zu gehen, sollten auf einen Schlag alle Weihnachtsilluminationen entzündet werden. Da war im Vorfeld so viel Marketing und letztes Jahr war dies bereits ein großer Erfolg für die Geschäftswelt im gebeutelten Galizien, also durfte man gespannt sein. Was dann geschah, war beispiellos. Fluten von Menschen, die sogar kanalisiert werden mussten mit beweglichen Stahlelementen, damit sie die Stadt nicht überspülten. Der Abend war lau, ohne Regen, Familien, Kinder, Touristen, es war voll voll voll. Und so schön, ich muss sagen, es hatte wirklich Hauptstadt-Niveau, schaut mal:
Sonntags hatten wir dann noch das traditionelle Vergnügen, mit Oli und Eva am Hafen frische Austern mit einem schönen Albariño zu genießen, bevor es Zeit wurde, dass ich nach Porto gebracht wurde, um einen Flug über Frankfurt nach Verona zu bekommen, um dort mein Buch über das in Titan eingekleidete Opernhaus in Kuwait zu drucken. Oh, Boy… sie waren so gut, die Austern. Und der Sonntag, sowie der Montag, an dem ich mit meinem Prokuristen Felix in Verona die Druckabstimmung machte, super. Wir hatten so einen schönen Abend mit zwei kreativen Damen aus dem Londoner Hause Bloomsbury (die seit über einem Jahrzehnt Prachtausgaben von Harry Potter Bändern herstellen) in einem traditionellen veronesischen Ristaurante, aber kurz nach Mitternacht, Wunder oh Wunder, brach zeitgleich in Vigo und 2000 km entfernt in Verona bei Sarah und mir der totale Krieg aus (offenbar gibt es Bakterien bei Atlantik-Austern, die 48 Stunden Inkubationszeit haben) und wir hatten vereint und räumlich getrennt die Nacht aller Nächte (nicht im positiven Sinne). Ich war ja nicht bei Sarah, aber hier in meinem Hotelzimmer entstand über 7 nächtliche Stunden eine komplette Verschmelzung von Körper, Bett und Badezimmer, viel weiter will ich gar nicht gehen. Ein Alptraum an Krämpfen, Schüttelfrost und Dehydrierung. Dienstag sah ich mich außerstande, in die Druckerei zu gehen, konnte nichts zu mir nehmen und lediglich warten, bis dieser Kelch an mir vorübergezogen ist… was heute dann der Fall war. Jederzeit, so hart es war, ziehe ich eine Vergiftung einer Magen-Darm-Grippe vor, der Kampf ist härter, aber kürzer, es wird entschiedener gefochten, und das Ziel ist schneller erreicht. Heute Mittag habe ich bereits wieder mit meinem Freund Antonio Sushi gegessen, und heute Abend (jetzt), nach einem leichten Mahl unten im Ristaurante, habe ich mir meinen Wein mit aufs Zimmer genommen und genieße ihn entspannt, während ich dies schreibe. Hier seht ihr das offizielle Fahndungsfoto der Übeltäter (die leider nie überführt werden können, da wir sie bereits vorverurteilt und hingerichtet haben):
Wie gesagt, seit heute geht alles wieder. Der Druck läuft gut. Morgen werde ich früh abgeholt nach Vicenza, wo ich mir die neuen Prototypen für die Stahlbox dieser Royal Edition anschaue, sodann für ein neues Projekt eine Marmorfabrik besichtige, wo wir für Qatar und die Fifa WM ein Produkt aus Mamor planen. Später die letzten Bögen des aktuellen Buches hier in Verona. Freitag früh um 6 fliege ich wieder nach Frankfurt, dann weiter nach Porto, wo Sarah mich um 11.30 abholt. Samstag ist unser Aufenthalt in Vigo zuende, wir fahren auf dem “silbernen Camino” gen Süden, evt bis Sevilla, um am 1.12. in Lagos in unserem Zuhause für die nächsten 5 Wochen anzukommen.
Ich denke, Ihr seid nun wieder auf Stand, nur eine traurige Sache noch: Heute Nachmittag habe ich das Trees of the Planet Projekt (mein Bäume-Kunstprojekt) im Crowdfunding storniert, einen Tag, bevor es eh von Kickstarter beendet worden wäre, weil wir das Finanzierungsziel nicht erreicht haben. Dies ist die Aufgabe der nächsten Tage: nicht den Mut verlieren, nicht verzagen. Es hat nicht geklappt, danke jedoch für alle Unterstützung; muss ich eben einen anderen Weg finden, das zu realisisren. Euch wünsche ich auf jeden Fall alles Gute, passt gut auf Euch auf und genießt eine aufgeräumte und inspirierte Adventszeit. Viele liebe Grüße, Niklas