Galicia
Nachdem Sarah vorgestern von Tricastela nach Sarria gelaufen is, war ich gestern dran bis Portomarin weiterzulaufen. Seit dem Wintereinbruch, über den ich berichtet und wegen dem wir 4 Etappen übersprungen hatten, regnet es nur noch. Mit einer kleinen Ausnahme gestern Mittag, als ich am Rio Miño ankam und der Himmel ein dramatisches Schauspiel bot. Plötzlich war es wieder sehr warm im prallen Sonnenlicht, sodass Sarah, die in Portomarin stand, sich entschlossen hat, uns (leider auf einem anderen Weg) entgegenzulaufen, Rocco und ich aber, angekommen am verlassenen Auto, das Sitzen auf einer steilen Treppe oberhalb der Brücke in der Sonne sehr genossen haben. Seit wir keine Campingplätze mehr haben, stehen wir zumeist auf den einzig verfügbaren Flächen oder eben wild. Es geht halt nicht anders, aber nach wie vor schränkt uns das sehr ein. Heute z.B., Sarah ist gg 9 Uhr losgelaufen und ich dachte, ich könnte vielleicht auf dem Parkplatz oben in Portomarin noch ein wenig arbeiten, aber das war nichts, es war so dunkel durch den strömenden Regen, dass die Solaranlage einfach nichts ausspuckte. Naja, also bin ich los und mit hohen Drehzahlen und große Umwege die 23 km nach Palas de Rei gefahren, um mgl viele Geräte während diese Stunde aufzuladen. Reichen tut das nicht, momentan sitze ich in einer Alberque direkt am Camino, das Auto steht hinten auf deren Parkplatz, heute nacht hoffe ich, auf dem Schwimmbadparkplatz auf der anderen Seite des Jakobswegs, 20 Meter weiter den Hang runter, stehen zu können, jetzt ist es dort noch zu voll.
Da die Sonne gestern noch ein Weilchen anhielt, sind Sarah und ich, sobald das Bärle versorgt war, in den Ort gegangen, die bereits traditionelle Bier/Tortilla-Segung zu empfangen. Und so saßen wir dann auf der Calle Real und genossen Sonne und Speise/Getränke. Später fand Sarah dann noch eine Automatenwaschmaschine mit Trockner, da das Wetter eine Katastrophe ist, sind unsere Sachen natürlich auch entsprechend dreckig. Das lange Laufen in Regensachen sorgt für eine anständige Schwitzerei, naja, kann man sich ja denken. Aber endlich konnten wir wieder alles waschen und ansatzweise halbtrocken aus dem Trockner bekommen, sodass durch den Abend das ganze Auto noch voller aufgehängter Klamotten zum Labyrinth wurde.
Der Wanderweg gestern war unglaublich schön. Sehr schade, dass ich kaum Bilder habe, aber ich hatte angesichts der Fluten das iPhone hinten im Rucksack, weil vornerum einfach alles irgendwann nass ist, da man unter den wasserdichten Klamotten ja brutal schwitzt. Die Lagen sind dann: Mohair-Unterhemd, Angora-Pulli (hat schon sehr gelitten), Daunenweste, Regenjacke, Rucksack, Rucksack-Regenschutz, Regenhose über einer Wind abhaltenden langen Laufhose. Wenn es ganz hart kommt mit dem Regen, dann muss noch der Poncho drüber. Aber das geht allen so. Vermummte Gestalten den Weg entlang.
Gestern waren es dann auch erheblich mehr als die Tage zuvor. Es kann sein, dass dies mit dem 100 km-Wegstein zu tun hat, an dem ich gertsen vorbeigegangen bin. Es gibt ja die Regel, dass man sein Pilgerzertifikat auch bekommt, wenn man nur die letzten 100 km gelaufen ist. Das war ca 5 km vor Portomarin. Man könnte sagen, dass ich alle 2-300 m einen oder mehrere Pilger überholt habe. Auch als wir beim Bier saßen nachmittags kamen sie in reger Folge hinein. Seit km 100 auch wesentlich mehr Nationalitäten, Amerikaner, die ersten Russen, vielleicht ist das auch gar nicht so doof bei der Langeweile Kastiliens und den harten Bedingungen in Leon und den galizischen Pässen.
Schön wars, teilweise hatte ich das Gefühl, ich bin zurück in England: Alles grün, überall diese Steinmauern um die Weiden und Felder und dann eben Dauerregen. Viel Stress mit den freien Dorfhunden. Zweimal musste ich den kleinen Rocco verteidigen, den Leuten hier war das ganz egal. Ist schon krass, wenn diese riesigen galizischen Hunde so richtig wütend auf einen losspringen und ganz tiefe, böse Geräusche machen. Glücklicherweise ist das scheinbar hauptsächlich Show. Ich habe mir angewöhnt, in solchen Situationen den Rocco zurückzunehmen und sie einfach anzuschreien. Außerdem kriegen sie wenn nötig dann auch mal einen Kieselstein auf den Pelz, zumeist ist dann schnell Rückzug angesagt oder zumindest eine Verfolgung in einem gewissen Abstand.
Kurz nach diesem Wegstein kam dann zum ersten Mal die Sonne heraus. Sofort wurde alles besser. Ein paar Kilometer später habe ich dann endlich auch alles Regenzeugs abgezogen, um mich wieder wie ein Mensch und weniger wie eine Verpuppung zu fühlen. Es ging dann noch ein paar Hügel raus und runter, dann schließlich der Miño und eine wunderbarer Blick von der großen Autobrücke. Dieser Fluss fließt dann an der Grenze von Portugal und Galizien ins Meer. An seinen Hängen hier in der Region Lugo sind die Ribeira Sacra, die heiligen Uferhänge, an denen vor Urzeiten Mönche begonnen haben, Wein anzupflanzen, der ungeheuer schwer zu ernten ist. Ich meine ich hätte mal einen sehr leichten Rotwein probiert, der mir sehr gut gefallen hatte. Nicht genau hier bei Portomarin, aber vielleicht weiter südlich in Richtung Ourense.
Soweit für heute, viel mehr gibt es nicht zu berichten. Außer, dass das Baumprojekt wahrscheinlich den Bach runter geht, was mich in den letzten Wochen sehr stark beschäftig hat. Viel mehr als 42.000 € konnte ich nicht einwerben, und bei Kickstarter gilt, Alles oder Nichts. Noch 18 Tage, aber ich denke, das wird nichts mehr — vermutlich war das alles zu ambitioniert, und ich habe definitiv die Begeisterung der Künstler überschätzt, auf ihren eigenen Netzwerken und über ihre teilweise große Prominenz das Projekt zu unterstützen. Viele haben sich Mühe gemacht, aber nur Facebook, Twitter und Instagram scheint eben auch nicht zu reichen. Ein bis zwei mögliche Sponsoren sind noch am Überlegen, am 18.11. habe ich eine Online-Konferenz mit einem Verlag, der es vielleicht haben will. TeNeues hat dann doch leider abgesagt, sie waren erst so begeistert von dem Gesamtprojekt, in der Programmrunde ist das Buch dann aber nur als Buch an sich und «eben wieder mal ein Baumbuch» behandelt worden. Klar, nimmt man das Konzept weg und diese große Bemühung von so vielen internationalen Künstlern, zu beweisen, dass Bäume uns inspirieren und zählt nur, wie viele so richtig berühmte Künstler drinnen sind, dann wird es eben vergleichbar und verliert offenbar an Bedeutung. Kann man sich ja denken, dass diese Aussicht (scheitern) und das miese Wetter zusammen mit der Abwesenheit von warmen Duschen und ausreichend Strom auch für eine Menge Frustration an kühlen Abenden sorgt. Ich habe wieder ein Haus gefunden an der Grünen Küste der Ostalgarve, was wir ab 1.12. mieten, zumindest mal bis 5.1. Es gibt wieder eine Menge Arbeit zu tun an den neuen Projekten. Vom 25.11. bis 29.11. bin ich ja in Verona zum Druck des ersten Kuwait Royal-Projekt, Sarah wird solange bei Oli in Vigo wohnen, der Van darf eingeschlossen am TÜV stehen und braucht auch ein paar kleine Reparaturen. Am 30.11. fahren wir dann nach Süden, denke ich.
Ihr machts mal gut und passt auch Euch auf. Viele herzliche Grüße, Niklas