Melukat zu Vollmond
Diese letzten Tage in Ubud sind voller Spirit. Nicht nur, dass auf dem Weg in die Stadt und heraus zu uns seit Tagen verstopft ist, denn die Balinesen aus den nördlichen Provinzen feiern Galungan im ältesten Tempel der Insel, der eben gerade 5 Minuten zu Fuß unten am Fluß im Eingang des Campuan-Tals liegt, wir haben darüberhinaus heute auch an einem sehr spektakulären Ritual in Bangli, eine Stunde von hier mit dem Moped, teilgenommen, aktiv teilgenommen … Dazu später.
Ubud ist im 8. Jahrhundert gegründet worden. Das ist ja durchaus schonmal ganz schön alt. In diesem 8. Jahrhundert wanderte der hinduistische Mönch oder Weise Rsi Markandeya auf der Insel der Götter ein und hatte nichts weniger als eine Weltreligion im Gepäck: den Hinduismus. Nicht nur, dass dieser Mann der Insel die Religion, ein Kasten- sowie ein Steuersystem brachte (jede Kaste zahlt Steuern an die nächsthöhere), er baute darüberhinaus auch eigentlich alle wesentlichen Großtempel auf Bali. Und im idyllischen Campuan-Tal, eben 5 Minuten von hier, wo wir wohnen, baute er den ersten! Gunung Lebah bedeutet so etwas wie Tempel im sanften Tal. Ein tagsüber geschossenes Bild des Tempels kennt Ihr übrigens schon, da ich ja über den Bukit Campuan geschrieben hatte, unsere erste Wanderung hier. Das Fest Galungan ist ein Hochfest, es feiert einen historischen, Weltschicksal entscheidenden Sieg aus einem Epos, bezeichnet aber auch den Moment, an dem die Ahnengeister auf die Insel kommen. Offiziell ist es erst Ende Juli, für die Leute aus Singaraya ist es aber diese Woche.
Sarah und ich wollten gerne hin; da wir seit Tagen am Verkehrschaos leiden und Tag wie Nacht Gangelangmusik hören, fühlten wir uns irgendwie auch berechtigt. Eines der Mädels, die hier arbeiten, hat Sarah ein Seidenhemd geliehen, wir haben gestern also unsere Sarongs geschnappt und sind aufgebrochen. Vorher haben wir allerdings eine verrückte mexikanische Kneipe ausprobiert, wo wir tatsächlich den balinesischen Carlos Santana haben spielen hören, das war ne Schau… dazu gab es Guacamole und Shrimps, Octopus und verbotenerweise jeweils ein Bier (es hieß Prost, sicher ein Kolonialverbleibsel, irgendwie, aber ich kann kein Holländisch).
Nach dem guten Essen haben wir also unseren Roller in ein kleines Fleckchen entlang unserer Straße abgestellt, haben uns im Dunklen schnell verkleidet, und sind runter zur Brücke. Jeden Abend die letzten Tage (und was mich betrifft auch jeden frühen Morgen) haben wir bereits die helle, farbenfrohe Illumination bestaunt, wenn wir über die. Rücke kamen, und wie - wann immer man kommt — stets der Teufel los ist. Hier drei Bilder von der Brücke, dem Weg zum Tempel, wo man sich mit Wasser und Naschzeugs eindecken kann und gekibitzt am Hintereingang. Mir haben sie nämlich erst, nachdem ich mir eine balinesische Kopfbekleidung habe aufnötigen lassen, mitgeteilt, dass wir da auf keinen Fall reindürfen.
Wir waren durchaus enttäuscht, allerdings vielleicht auch ein wenig erleichtert. Beide waren wir müde, da ich um 3:30 früh raus bin, um mit Kuwait zu verhandeln, Sarah um 4 früh, um Yoga zu machen, da waren wir, was eine Sensation mehr oder weniger betrifft, doch flexibel. Wir konnten es allerdings, da wir ja eh schon so schön rausgeputzt waren, nicht lassen, den Bukit aufzusuchen und um den Tempel herumzugehen. Ganz hinten, wir standen schon tief im Gestank der Unmengen von Opfergaben, die seit Tagen dort gesammelt werden und verrotten, stand ein Törchen offen und die Peccalang, die Religionspolizei, war nicht zu sehen. Wir also fix rein, die Mauer entlang und wenigstens ein paar Fotos gemacht, bevor wir über einen verbotenerweise qualmenden Peccalang stolperten und — obwohl er gar nicht von uns wollte — das Weite gesucht haben. Weil das in den Farben aber so grandios war, schiebe ich hier noch ein paar Bilder mit hinein, leider ohne das rituelle tiefe Gemurmel, ohne die kakophonische Gangelanmusik, aber es gibt vielleicht einen cineastischen Eindruck:
Wieder am Ausgang, herrschte eine gewisse Jahrmarktsstimmung. Die Brüder standen in Männergrüppchen herum, gestikulierten, rauchten; daneben fanden wir diese spannende Reisegruppe, die sich zu einem durchaus frivolen balinesischen Roulette niedergalssen hatten mit völlig weltlichen Motiven:
Das wars dann also. Unsere balinesischen Mädels aus dem Roots, denen wir uns im Kostüm heimgekommen präsentierten, waren untröstlich; sagten, dass wir nach ihren Schichten mit ihnen nochmals dorthin sollten. Da sie Offerings vorbereitet hätten, Opfergaben, wäre es kein Problem, wenn sie Langnasen im Gepäck hätten — so relativ ist plötzlich die Bedeutung von uns Westlern… aber wir waren zu müde, zudem hatten wir ja die Aussicht auf ein Ritual am nächsten Tag, für das wir sicher ein paar Stunden Schlaf gut gebrauchen könnten.
Vorab setze ich hier mal das wirklich gelungene Video von Scott, dem Besitzer vom Usada, ein. Ich war ja im Ritual, konnte insofern nur davor und danach ein paar Bilder machen:
Wer ist Ida Resi Alit? 1986 geboren als normales balinesisches Mädel nahe der Kreisstadt Gyanyar, zu der auch Ubud gehört, politisch wenigstens, wuchs sie normal auf, ging die Schule durch und fand sich als gerade erwachsene Frau wie alle hier in der Situation, sich einen Beruf und ein Einkommen zu suchen, um der Familie eine Unterstützung zu sein. Sie gelangte auf eine Insel nahe Singapore und bewarb sich intensiv, da sie Wirtschaft als Spezialfach gehabt hatte, suchte sie in diesem Sektor. Aber nichts klappte. Sie scheiterte mit allem, nicht ein einziges Vorstellungsgespräch fand statt. Entmutigt fuhr sie wieder nach Hause und fiel in eine tiefe Depression.
Ich will es kurz machen; 2007 wurde sie als Ida Resi Alit, als Wiedergeborene, Zurückkehrende, in die ungewöhnliche Position der balinesischen Hohepriesterin geweiht. Was war passiert? Offenbar nichts weniger als dass sie mit Unterstützung ihres Onkels, einem hinduistischen Priester, die Depression und dann auch noch ein Koma überwunden hat, dieser in ihr besondere karmische Hintergründe und so etwas wie einen frühen Rapport mit dem „Göttlichen“ festgestellt hat und sie einer höchstamtlichen Jury von Priestern zur Prüfung übergeben hat. Erwacht aus dem Koma, heißt es, war sie des Sanskrit mächtig, konnte unglaublich komplexe Ritule, Gesänge und Mantren vorsprechen und berichtete von einer spirituellen Begegnung mit einer geistlichen Kraft in Form einer Dame, die ihr ihren Weg gewiesen hat.
Für das Hohepriesteramt bedarf es normalerweise einiger Jahrzehnte des Studiums sowie dann noch einer 5-jährigen Unterweisung durch einen Meister. Ida Resi Alit hatte in drei Wochen die Vorbereitung auf die schwierigste Prüfung in irgendwie allem abgeschlossen, und wurde mit 21 ins hohe Amt berufen, von Männern, auf Bali. Frauen dürfen sich hier erst mit 46 Jahren überhaupt für irgendwas Religiöses bewerben. Ist also schon ganz schön beeindruckend.
Bevor ich das Ritual beschreibe, noch kurz, wie es weiterging mit ihr: Etwas Besonderes muss sie ja haben, das allein sagt ja schon diese Geschichte. Und so geht es auch weiter. Ida reichte das nicht, das Amt und die Würde. Sie wollte mehr. Sie hat sich verliebt und geheiratet, sie hat ein Kind auf die Welt gebracht. Das hat natürlich in weiten Teilen der Männerwelt das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie lebte zuletzt in Nordamerika, kommt aber immer wieder nach Bali zurück. Sie ist in Bangli, ihrer Heimat, immer noch die Päpstin, offenbar aber nicht mehr überall auf der Insel.
Den Mai verbringt sie auf Bali, bevor sie ihre Arbeit in Europa und Nordamerika fortsetzt. Ihr Thema ist Wasser, das heiligste Element auf Bali. Ihre Rituale sind Wasserreinigungen. Seele und Körper. Heute ist Vollmond, außerdem ist der Tag, an dem Buddha geboren, erleuchtet und gestorben ist. Alles in allem ein besonderes Datum, an dem wir Ida treffen und ihrem Gottesdienst beiwohnen.
Wir fahren nordweslich aus Ubud für ca 12 km, Bilderbuchlandschaften entlang des Wegs nach Bangli. Wir sind eine kleine Gruppe von Ausländern, die sich bei Usada, dem Veranstalter, getroffen hatten. Alle auf Rollern heizen wir durchs Grün. In Bangli legen wir im Freien Sarongs um, dann geht es viele Treppen hinunter durch den Dschungel zum Fluss. Oberhalb ist eine offene Pagode, wo wir uns schneidersitzend versammeln. Die hohe Dame kommt und weist eine kurze Meditation an, in der wir — wie sie sagt — durchs Intonieren von tiefen Lauten, Om, Am, Em, Im… unsere Chakren aufwärmen. Was immer wir machen, stets macht sie mehr, lässt gutturale Laute und Sanskrit-Mantren einfließen, es fühlt sich an, wie wenn sie die ganze Arbeit des Gebets allein verrichtet. Sie ermahnt uns, solide zu atmen und ist selbst sehr ernst, keine Erklärungen, keine Einführung, keine touristischen Momente, absolut keine, vor allem: keine Albernheiten jedweder Art.
Wir werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Sarah und ich sind in der ersten, sollen sogleich runter zum Fluss, um unser eigenes Gebet zu halten. Unten werden wir von Sandalen und Rucksäcken getrennt und sollen uns auf den Steinboden gegenüber dem heiligen Becken einrichten, jeder wie er will, Schneiderseitz, knien, was immer. Wir erhalten eine Schale mit verschiedenfarbigen Blüten und eine Räucherkerze, jeder. Sodann bestimmt ein Zeremonienmeister, dass wir von einer Farbe Blüten zu den nächsten wechselnd unsere persönlichen Gebete machen sollen, aber sehr kurz nur. Nach kaum 20 Sekunden unterbricht er und es geht zur nächsten Farbe. Er nennt das nicht Gebete, denn beten tut hier im Endeffekt nur eine — Ida Resi —, sondern Wünsche.
Darauf geht es in eine kleine Umkleide mit Schließfächern, wo Rucksäcke etc verwahrt werden können. Wir gehen in Sarong und T-Shirt in den Fluss. Im Fluss gibt es verschiedene Stationen, wie bei einem Kreuzweg im Westen, wo es stufenweise in die erstmal körperliche Reinigung geht. Also hüfthoch im Wasser dreimal eine Handvoll Wasser ins Gesicht und dreimal über den Kopf klatschen. An der nächsten Station überrascht uns der Zeremonienmeister, ein knuffiger Balinese, einmal tief unterzutauchen, keiner hat damit gerechnet, vor allem nicht die schnittigen Yoga-Groupies, die Frisur und Schminke damit Adieu sagen können, Selfies werden heute keine mehr gemacht!
Als nächstes müssen wir den Flusslauf hochkraxeln, über Stock und Stein geht es in eine Gorge, an deren Ende ein Wasserfall ist. Stückweise müssen wir da raufklettern und uns unter den Wasserfall stellen, der massiv ist, man hat Mühe, nicht wegzurutschen. Da wir viele sind, dauert das natürlich… heute ist es auch nicht wirklich warm, also fangen die ersten bald an, mit den Zähnen zu klappern.
Es geht dann weiter zur nächsten Station. Aus irgendeinem Grund aber bläst Ida das ab, verkürzt den Flusslauf, vielleicht weil alles zu lange dauert, und Wichtigeres noch auf uns wartet. Wir werden also zurückgerufen, versammeln uns vor dem eigentlichen Heiligtum, dem Bassin, in dem das Waser aus 6 Wasserspeiern landet. Inmitten des Bassins ist eine kleine Plattform, auf die die Hohepriesterin von zwei Männern durch hüfthohe Wasser getragen wird.
Dort stand sie nun und leitete die nächste Singmeditation ein, als Vorbereitung für die Reinigung der Seele. Als diese beginnt, müssen wir uns in dem Becken anstellen, der erste Wasserspeier ist zum dreimaligen Trinken da. Ab dem zweiten muss man wieder dreimal das Gesicht waschen, dreimal über den Kopf gehen und sich einmal unter dem schweren Strahl im Uhrzeigersinn drehen. Davor, während und danach singt und spricht Ida Resi die Mantren auf ihrer Plattform inmitten von uns.
Dieses Ritual ist schon mesmerisierend, vor allem, denke ich, weil wir Individuen so wenig wichtig sind. Die ganze Kraft des Rituals geht von ihm selbst und dieser zierlichen Frau aus, die einmal sehr hoch, dann wieder sehr tief, melodisch, dann guttural singt oder intoniert, inszeniert. Es ist stark und es bleibt kaum Raum für irgendwelche Gedanken. Es ist dicht.
Nach dem Ritual können wir uns wieder umkleiden und versammeln uns oben wo alles begann. Halb verhungert schlingen wir Reis und Gemüse mit ein wenig Tofu hinunter, das Ganze war durchaus Kräfte zehrend. Ida Resi nimmt den Faden wieder auf, sie geht wieder in den wechselweisen Sprechgesang, fordert Geräusche von uns, leiser, dann wieder lauter, und leistet ihren Gottesdienst.
Gegen Ende wird dann noch erläutert, warum heute so ein besonderer Tag sei, s.o., und wie dankbar man sei, dass es auch Touristen gibt, die die Kultur verstehen wollen, wie wichtig dies sei, und wie sehr die Balinesen dies freut. Wir sind alle doch ein wenig mitgenommen von den überraschenden Anstrengungen im Wasser, und durchaus auch von der Intensität der Meditation und des Gottesdiensts, sind doch im Westen, seit dem 2. Vatikanum die Gottesdienste sehr leicht geworden und bis auf die Wandlung auch des Mysteriums beraubt. Hier spielt Unterhaltung, Kumba Ya, Intellekt, Mitarbeit und Verstehen gar keine Rolle, es ist vollends derationalisiert, und das Mysterium nimmt allen Raum.
Am Ende werden Fragen zugelassen, aber alle sind durch. Keiner fragt. Sarah hatte schon mit Ida Resi meditiert und bekommt eine liebevolle Umarmung, aber dann ziehen wir los, zurück nach Ubud. Ich kann nicht sagen, ob ich mich gereinigt fühle –– auf ansatzweise positive Art mitgenommen, das trifft es vielleicht am ehesten. Aufgwühlt auch, durchaus. Authentizität in diesem Maße hat für uns westliche Leichtgewichte etwas Schweres, es ist eine Last, eine Hürde, die man intellektuell (denn das ist ja immer unsere Methode) erstmal nehmen muss. Es ist etwas, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. Und damit geht es jetz in eine gute, vorletzte ubudianische Nacht. Machts gut und passt auf euch auf! Niklas